Detailansicht

Eltern mit Lernschwierigkeiten – was bedeutet das für ihre Familien?

Forschungsprojekt der Uni Bremen abgeschlossen

Nr. 135 / 24. April 2012 RO

Soziale Ausgrenzung und geringe Chancen im Beruf sind nur einige der Folgen, wenn Menschen unter Lernschwierigkeiten leiden. Auch ihre Kinder sind betroffen. Wie die Situation von Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihrer Kinder verbessert werden kann, wurde jetzt in einer Studie unter Leitung von Professorin Ursula Pixa-Kettner, Behindertenpädagogin im Studiengang „Inklusive Pädagogik“ der Universität Bremen untersucht. Zentrale Ergebnisse sind: Die Familien benötigen verstärkt Unterstützungsangebote vor Ort, damit sie nicht umziehen müssen oder die Familien nicht auseinander gerissen werden. Weiter zeigte sich, dass die betroffenen Familien meist sehr isoliert leben.

Die Ergebnisse der Studie:

Fast die Hälfte der befragten Eltern empfinden die benötigte Hilfe zugleich als Kontrolle und eine Einmischung in den privaten Bereich. In einzelnen Fällen wurde auch Kritik am Umgang seitens der Fachkräfte mit den Familien geäußert. Einige Betroffene wünschen sich einen respektvolleren Umgang, da sie zwangsläufig einen tiefen Einblick in ihr Privatleben geben müssen. Auch seien manche Anleitungen oder Erklärungen nur schwer verständlich.

Ein großes Problem ist für viele Eltern die „Wohnsituation“. Denn oftmals ist eine (vorübergehende) stationäre Betreuung die Bedingung des Jugendamtes, damit die Eltern mit ihren Kindern zusammenleben dürfen. Doch spezifische Einrichtungen für Eltern mit Lernschwierigkeiten gibt es nur an wenigen Orten, so dass die Familien umziehen müssen. Dies ist für die Kinder oftmals sehr belastend, denn auch sie verlieren durch den Umzug ihr soziales Umfeld. Eine weitere Variante ist die familiäre Trennung, da die Väter der Kinder bzw. Lebenspartner der Mütter nicht immer mit aufgenommen werden können.

Mit ihrer Arbeitssituation – fast alle arbeiten in einer Werkstatt für Behinderte - geben sich viele der Befragten zufrieden. Manche würden sich schon eine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt wünschen. Dafür mangelt es jedoch oft an Selbstvertrauen und Kenntnis über Unterstützungsmöglichkeiten. „Viele dieser Menschen sind froh, überhaupt eine Arbeit zu haben. Ihnen wird häufig von Kindheit an vermittelt, dass sie mit ihrer Situation zufrieden sein sollen – sie sind nicht geübt darin, Wünsche und Träume darüber hinaus zu entwickeln und zu verfolgen“, beschreibt Ursula Pixa-Kettner die Situation.

Die sozialen Netzwerke der befragten Familien sind sehr klein und umfassen hauptsächlich Familienmitglieder und Fachkräfte. Kontakte mit Freunden, Kollegen oder Nachbarn werden selten genannt und scheinen im Leben der befragten Familien eine untergeordnete Rolle zu spielen. Auch Freizeit-, Urlaubs- und Bildungsangeboten nehmen nur wenige Betroffene wahr und verbessern ihre soziale Situation dadurch nicht.

Wie kann die Situation verbessert werden?

Folgende Aspekte, so die Ergebnisse der Uni-Forscher, sollten in der professionellen Unterstützung der Eltern künftig stärker berücksichtigt werden, da sie auch für die Situation der in den Familien lebenden Kinder von großer Bedeutung sind:
•    Die Familien benötigen verstärkt gleichwertige Unterstützungsangebote vor Ort, damit sie ihre ohnehin kleinen sozialen Netzwerke nicht verlassen müssen.
•    Fachkräfte und Kommunen sind gefordert, die Familien darin zu unterstützen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dies betrifft auch die Suche nach Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt, eventuell mit Arbeitsassistenz.
•    Ein respektierender Umgang der Fachkräfte mit den Familien ist der Schlüssel für eine gute Unterstützung.
•    Verständigungsprobleme könnten durch erklärende Materialien in einfacher Sprache reduziert werden. Diese werden bislang offenbar kaum eingesetzt.

Trotz der vielen Kritikpunkte zeigt sich die große Mehrheit der Eltern mit der Hilfe, die sie aktuell erhält, zufrieden. Warum ist das so? Ursula Pixa-Kettner interpretiert dies wie folgt: „Die Betroffenen haben meist nicht gelernt, Kritik zu äußern. Sie antworten daher so, wie sie es für erwünscht halten und sind tendenziell wenig kritikfreudig. Erst bei genaueren Nachfragen benennen sie ihre Probleme. Sie sind außerdem dankbar dafür, dass sie überhaupt Unterstützung erhalten und mit ihren Kindern zusammen leben können. Dafür nehmen sie alles in Kauf, denn die Alternative wäre Trennung. All das verringert die Bereitschaft, Kritik zu äußern.“ Die Forschungsberichte werden den kooperierenden Einrichtungen und den Befragten zur Verfügung gestellt.

Für das Projekt wurden Interviews mit 22 Familien im norddeutschen Raum geführt. Sie leben entweder vorübergehend in einer stationären Einrichtung für Eltern mit Lernschwierigkeiten oder werden ambulant vor Ort betreut. Das Projekt „Besondere Familien: Welche Unterstützung brauchen Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihre Kinder?“ wurde von der Kroschke Stiftung für Kinder mit rund 30.000 Euro unterstützt.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften
Lehreinheit Behindertenpädagogik/ Inklusive Pädagogik
Prof.Dr. Ursula Pixa-Kettner
Tel.: 0421 218-69308 und 69029
E-Mail pixaprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de