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Gabriel zum Bundeskanzler gewählt – Trittin wird Finanzminister!

Bremer Parteienforscher Professor Lothar Probst über Wahlprognosen und Koalitionsszenarien nach der Bundestagswahl am 22. September

Nr. 248 / 12. August 2013 SC

Eine Überschrift wie diese nach dem 22. September klingt wie eine Nachricht von einem anderen Stern. Sie ist auch nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht vollkommen ausgeschlossen. Professor Lothar Probst, der den Bereich Wahl-, Parteien- und Partizipationsforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen leitet, vertritt die Auffassung, dass die Bundestagswahl noch lange nicht gelaufen ist, auch wenn gegenwärtig alles danach aussieht, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt.

Die bisherigen Umfragezahlen signalisieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei Lagern: Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün. Während jedoch das schwarz-gelbe Lager gemeinsam handlungsfähig ist, ist das rot-rot-grüne Lager politisch bisher nicht handlungsfähig gewesen. Das könnte sich jedoch, so der Bremer Parteienforscher, nach der Bundestagswahl 2013 ändern, auch wenn die Spitzenakteure der SPD eine solche Koalition bisher ausschließen. Sie wollen den Regierungsparteien keine Munition für einen rot-rot-grünen Angstwahlkampf liefern. Kanzlerkandidat Steinbrück habe zwar unwiderruflich erklärt, dass er nur für eine rot-grüne Regierung zur Verfügung stehe – eine Option, die inzwischen vollkommen unwahrscheinlich geworden ist. Diese Aussage gelte aber nicht für Sigmar Gabriel. Er weiß, dass eine erneute Große Koalition für seine Partei ein großes Risiko darstellt und die Partei weiter schwächen könnte. Er wird deshalb nach Meinung von Parteienforscher Probst alles versuchen, um eine Große Koalition zu umgehen. Eine Linkskoalition mit einer Linkspartei, bei der nach dem 22. September die Reformer aus dem Osten innerhalb der Bundestagsfraktion der LINKEN eine Mehrheit haben werden, könne insofern eine Option sein, doch noch den Kanzler zu stellen. Das würde zwar zunächst einen medialen Proteststurm auslösen und wäre für die SPD ebenfalls ein Risiko. Aber wie die Bildung der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW, die ebenfalls zu Beginn unter Beschuss stand, gezeigt habe, handele es sich um ein Risiko, das langfristig sogar Vorteile bringen könnte.

Wahlausgang kaum prognostizierbar

Ein weiterer Gesichtspunkt, der nach Meinung von Parteienforscher Probst den Ausgang der Bundestagswahl gegenwärtig noch kaum prognostizierbar macht, ist die Validität der Umfragezahlen. Bei der Bundestagswahl 2005 sagten die fünf führenden Meinungsforschungsinstitute Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, Forsa, Allensbach und Emnid im Zeitraum 10. – 12.8.2005  (also ungefähr in einem Zeitraum, der der jetzigen zeitlichen Entfernung zum Wahltermin 2013 entspricht) den Unionsparteien im Mittel ein Ergebnis von 41,5 Prozent voraus. Das tatsächliche Ergebnis für die Union lag jedoch nur bei 35,2 Prozent. 2009 wurden für die CDU im Zeitraum 21.7.-12.8.2009 im Mittel 36 Prozent vorausgesagt – 2,2 Prozentpunkte über dem tatsächlichen Ergebnis von 33,8 Prozent. Die jetzigen guten Umfragewerte für die CDU sind also trotz der ohne Frage starken Position der Kanzlerin mit Vorsicht zu genießen. Welche Parteienkonstellation am Ende die Nase vorn haben wird, ist jedenfalls noch nicht ausgemacht.

Ein weiterer Faktor, der beim Ausgang der Bundestagswahl laut Probst eine wichtige Rolle spielen wird, ist das Abschneiden der sogenannten „sonstigen Parteien“ – also der Parteien, die unter 5 Prozent liegen werden. Je nach Umfrageinstitut liegen die Werte für die Sonstigen (einschließlich Piraten und AfD) gegenwärtig zwischen 8 und 11 Prozent. Das Abschneiden dieser Parteien werde damit, so Probst, zu einem wichtigen Faktor für die nötigen Mehrheiten bei der Regierungsbildung. Schon bei einem Ergebnis von ca. 8,3 Prozent für die sonstigen Parteien reichen 46 Prozent für eine gemeinsame Parteienkoalition, um die Kanzlermehrheit in einem Bundestag mit der Regelgröße von 598 Sitzen (also ohne Überhangs- und Ausgleichsmandate) zu stellen. Sollte das Ergebnis für die sonstigen Parteien sogar etwas mehr als 10 Prozent betragen (10,3 %), wäre schon bei 45 Prozent für eine Parteienkoalition die Kanzlermehrheit im Bundestag erreichbar. Bei Überhangs- und Ausgleichsmandaten sinkt dieser Anteil sogar geringfügig. Diese Werte sind rein rechnerisch für beide Lagerkonstellationen möglich. Läge die CDU bei wahrscheinlichen 38 Prozent und die FDP bei 7 Prozent, wäre diese Hürde im letzten Fall bereits erreicht. Für eine Linkskoalition würden der SPD sogar 25 Prozent ausreichen, wenn die Grünen 13 Prozent und die Linke 7 Prozent erlangen (bei drei Koalitionsparteien sind geringfügige Abweichungen von diesem Wert möglich).

„Die Bundestagswahl ist noch lange nicht gelaufen“

Selbst die Aussage, dass Jürgen Trittin Finanzminister wird, ist nach Auffassung von Parteienforscher Probst nicht ganz so unwahrscheinlich, wie es klingt. Die Grünen würden diese Position nicht nur in einer Linkskoalition einfordern, sondern auch in einer – wenngleich noch unwahrscheinlicheren – Koalition mit der CDU. Dieser Fall könnte dann eintreten, wenn es rechnerisch weder für eine schwarz-gelbe Mehrheit noch für eine Linkskoalition reichen würde (bzw. eine Linkskoalition nicht zustande käme) und die SPD der CDU Avancen in Richtung Große Koalition mache. Dann könnten auch innerhalb der Grünen diejenigen Auftrieb bekommen, die zumindest für Gespräche mit den Unionsparteien plädieren.

In diesem Fall, so meint Probst, müsste die CDU den Grünen jedoch personell und inhaltlich entgegenkommen, damit die Parteiführung die Parteibasis von den Vorteilen einer Regierungsbeteiligung in einer schwarz-grünen Koalition überzeugen könnte. Das wäre nur der Fall, wenn die Union den Grünen tatsächlich das Finanzressort überlassen und weitgehende Zugeständnisse in Richtung Energiewende machen würde. Das Markenzeichen dieser Koalition wäre dann ein Zweckbündnis für die Durchsetzung der Energiewende – ein Projekt, das sowohl für den Wirtschaftsstandort Deutschland als auch für die klimapolitischen Ziele, zu denen sich die Bundesrepublik verpflichtet hat, von elementarer Bedeutung ist. Sollten also Unionsparteien und Grüne ihre wirtschaftspolitischen Kompetenzen auf der einen und ihre ökologischen Kompetenzen auf der anderen Seite programmatisch zusammenbringen, wäre prinzipiell auch ein schwarz-grünes Bündnis denkbar.

Die Wahl ist jedenfalls noch lange nicht gelaufen und die Frage, welche Koalition Deutschland nach dem 22. September regieren wird, wird voraussichtlich bis zum Wahltag offen bleiben.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Sozialwissenschaften
Institut für Politikwissenschaft
Prof.Dr. Lothar Probst
Tel. 0421 218 67480
E-Mail: lothar.probstprotect me ?!iniis.uni-bremenprotect me ?!.de