Nr. 129 / 19. Mai 2016 MM
Nach dem Ersten Weltkrieg verlassen in Europa Millionen von Menschen ihre Heimat. Sie flüchten von Ost nach West vor Krieg, Armut und hoffen auf ein besseres Leben. Forderungen nach Grenzschließungen und Abschiebungen werden in Deutschland laut. Warnungen vor „Ausländerflut“ und „Überfremdung“ machen sich breit. „Sind wir schutzlos gegen Ausländer?“, „Wird endlich durchgegriffen?“ sind nur einige Schlagzeilen der Presse. Wir befinden uns in den 1920er-Jahren in Deutschland. Große Reiche, wie Russland, die Österreichisch-Ungarische Monarchie und das Osmanische Reich lösen sich auf. Auch in Bremen suchen Menschen Zuflucht und Schutz. Zum Teil wollen sie von dort aus weiter nach Amerika. „Recherchiert man in alten Zeitungsartikeln, Dokumenten und Briefen, zeigen sich deutliche Parallelen zu heute auf “, sagt die Leiterin des Projekts „Aus den Akten auf die Bühne“ Dr. Eva Schöck-Quinteros von der Universität Bremen. „Parallelen sieht man vor allem darin, wie zum Teil über Geflüchtete gesprochen wurde.“ Seit 2007 bringen Eva Schöck-Quinteros und ihre Studierenden zusammen mit der bremer shakespeare company (bsc) historische Akten auf die Bühne und machen Bremer Geschichte lebendig. In ihrer neuen szenischen Lesung thematisieren sie die Flüchtlingsproblematik. Unter dem Titel „Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben – `Lästige Ausländer` in der Weimarer Republik“ ist am Donnerstag, 26. Mai 2016, um 19.30 Uhr Premiere in der bsc (Theater am Leibnizplatz, Schulstr. 26, 28199 Bremen). Karten gibt es für 13 Euro (erm. 6 Euro) im Vorverkauf im Foyer der Bremer Stadtbibliothek am Wall, telefonisch unter 0421-500 333 oder online unter www.shakespeare-company.com/vorverkauf/. Weitere Veranstaltungen sind im Herbst geplant.
„Was heute die Grenzen im Süden sind, waren damals die Grenzen im Osten“
Die neue szenische Lesung knüpft an das erste Projekt aus dem Jahr 2007 an. „Damals haben wir uns mit Ausländerinnen und Ausländern in der Weimarer Republik beschäftigt, die schon jahrelang in Bremen lebten“, so Schöck-Quinteros. Die aktuelle Flüchtlingssituation hat die Historikerin dazu veranlasst, das Thema der Ausweisungen und Abschiebungen mit dem Fokus auf Geflüchtete erneut aufzugreifen. „Was heute die Grenzen im Süden sind, waren damals die Grenzen im Osten“, so die Wissenschaftlerin. Natürlich gibt es auch gravierende Unterschiede: Deutschland war damals vom Krieg gezeichnet und es herrschte große Wohnungsnot. Vor allem „ostjüdische“ Flüchtlinge stießen auf Ablehnung. Wer war „nützlich“ und durfte bleiben? Wer war „lästig“ und musste gehen? Diese Formulierungen waren damals gang und gäbe. Die Entscheidungen trafen stets die Behörden. In der neuen Lesung wird der Umgang mit Ostjuden, den „fremdstämmigen Ostausländern“ gezeigt – auch anhand zahlreicher Quellen aus der Überlieferung der Reichsministerien aus dem Bundesarchiv.
Kooperationsprojekt ist eine Erfolgsgeschichte
Das Projekt „Aus den Akten auf die Bühne“ ist eine Erfolgsgeschichte, die schon lange über Bremen hinaus bekannt ist. Für jede neue szenische Lesung recherchieren Geschichtsstudierende monatelang zahlreiche Akten und arbeiten sie mit Unterstützung des Bremer Staatsarchivs und anderen Einrichtungen in Bremen und Deutschland auf. Die Themen haben stets einen historischen Bezug zu Bremen. Der Regisseur und Schauspieler Peter Lüchinger konzipiert aus dem umfangreichen Material eine szenische Lesung. Das Besondere dabei: Die Quellen werden von ihm gekürzt, aber nicht verändert. Sie bleiben authentisch. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen der bsc bringt Lüchinger die Dokumente dann auf der Bühne zum Sprechen.
Einladungen nach Brüssel und Zusammenarbeit mit Schulen
Seit mehreren Jahren werden die Akteurinnen und Akteure regelmäßig in die Bremische Landesvertretung nach Brüssel und in andere Städte zu szenischen Lesungen eingeladen. Auch auf Tagungen präsentieren Eva Schöck-Quinteros und Peter Lüchinger ihr Konzept. „Dass wir die Quellen in dieser authentischen Form auf die Bühne bringen ist deutschlandweit einzigartig“, so Lüchinger. Dank der finanziellen Unterstützung der „unifreunde“, der Sparkasse Bremen, der Stiftung „die schwelle“ und des Bremer LidiceHauses gibt es eine Kooperation mit Bremer Schulen und außerschulischen Jugendbildungseinrichtungen. Schulen können das Quellenmaterial für ihren Unterricht nutzen. Dazu gehören zum Beispiel Polizeiverhöre, Gerichtsakten, Senatsprotokolle, Artikel aus der regionalen und überregionalen Presse oder Dokumente wie Feldpostbriefe und Tagebücher. Zudem bietet das Projekt für Schulklassen Workshops zu den recherchierten Themen. Auch szenische Lesungen in den Schulen sind möglich.
Informationen im Internet unter www.sprechende-akten.de. Folgen Sie dem Projekt auf der Facebookseite „Aus den Akten auf die Bühne“ (www.facebook.com/sprechende.akten).
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Weitere Informationen:
Universität Bremen
Fachbereich Sozialwissenschaften
Institut für Geschichtswissenschaft
Dr. Eva Schöck-Quinteros
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