Detailansicht

Pflegereport: Pflegeheime von COVID am meisten betroffen

Pflegebedürftige und das Personal in Einrichtungen waren während der Corona-Pandemie am stärksten betroffen. Zu dem Ergebnis kommt der diesjährige Pflegereport, den das SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen im Auftrag der BARMER Krankenkasse erstellt hat.

Heute (Dienstag, 29. November 2022) wurde in Berlin der diesjährige BARMER Pflegereport vorgestellt. Darin wurde die Betroffenheit von Pflegebedürftigen und Pflegepersonal im Pflegeheim durch COVID-19 dargestellt.

Die SOCIUM-Autoren, die Gesundheitsökonomen Professor Heinz Rothgang und Dr. Rolf Müller, haben für den aktuellen Report Daten aus der Pflegestatistik und Routinedaten der BARMER wissenschaftlich ausgewertet. Sie liefern vertiefende Untersuchungen zu Fallzahlen, Inzidenzen, Prävalenzen und Pflegeverläufen.

Das Fazit: Über 50 Prozent der in den ersten beiden Wellen mit COVID-19 Verstorbenen waren Pflegebedürftige im Pflegeheim. Die Häufigkeit der krankheitsbedingten Fehlzeiten am Arbeitsplatz (AU-Fälle) wegen COVID-19 war für Pflegekräfte im Pflegeheim in den ersten beiden Wellen vier- bis fünfmal so hoch wie bei anderen Berufsgruppen in anderen Branchen. Von Bedeutung für die Politik ist dabei, wie auf die COVID-19-Pandemie reagiert wurde, welche Folgen dies hatte und wie zukünftig reagiert werden sollte. Die drastisch einschränkenden Maßnahmen aus den ersten beiden COVID-19-Wellen werden aktuell nicht mehr als adäquat angesehen. Sie führten dazu, dass stationäre Leistungen in geringerem Umfang genutzt wurden, obwohl von einem weiterhin bestehenden Bedarf ausgegangen werden darf. Zudem sind für die Pflegeheime finanzielle Mehrbelastungen und Mindereinnahmen entstanden, die aus dem Staatshaushalt gedeckt werden sollten. Dies sei aber nicht vollumfänglich geschehen.

Hauptleidtragende sind die Pflegebedürftigen in Pflegeheimen

Um eine Ausbreitung der Infektion zu begrenzen, haben Pflegeheime drastische Kontaktsperren durchgesetzt. Dennoch hatten im Mai 2020 2,2 Prozent und im November 2020 8,3 Prozent der Pflegebedürftigen in vollstationärer Dauerpflege im entsprechenden Quartal eine COVID-19-Diagnose erhalten und waren damit in den ersten beiden Wellen etwa siebenmal so stark betroffen wie die Gesamtbevölkerung. In der vierten Welle Ende 2021 lag die Prävalenz mit rund 4 Prozent noch etwa doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.

In den Spitzen der ersten und zweiten COVID-19-Welle kam es nach den Hochrechnungen mit den BARMER-Daten zu 3.970 Todesfällen mit COVID-19 im April 2020 und 21.677 Todesfälle mit COVID-19 im Dezember 2020. Davon waren jeweils 61 Prozent Pflegebedürftige aus dem Pflegeheim. Die letzte Spitze im Zeitraum 2020 bis 2021 zeigt sich im Dezember 2021 mit 11.391 Todesfällen mit COVID-19. Davon sind allerdings nur noch 30,3 Prozent Pflegebedürftige in vollstationärer Dauerpflege. Es kam zu einer Übersterblichkeit der Pflegebedürftigen im Pflegeheim insbesondere in der zweiten und in der vierten Welle der Pandemie. In den Jahren 2020 und 2021 sind insgesamt 155.000 mehr Pflegebedürftige im Pflegeheim gestorben als aus den Sterberaten der Jahre 2017 bis 2019 zu erwarten wäre.

Eine große Verantwortung und Betroffenheit liegt bei den Pflegekräften im Pflegeheim

Im April 2020 hatten mehr als 2 von 1.000, im Dezember 2020 etwa 5 von 1.000 und im November 2021 knapp 3 von 1.000 Pflegekräften in der vollstationären Pflege eine AU-Diagnose mit COVID-19. Damit lagen die Häufigkeiten der Fehlzeiten in den ersten beiden Wellen etwa fünfmal so hoch wie für Beschäftigte in anderen Berufen und anderen Branchen. In der vierten Welle haben sich die Unterschiede zwischen den Berufsgruppen und Branchen minimiert. Die Pflegekräfte waren zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr in höherem Maße betroffen als andere Berufsgruppen.

Die große Vorsicht aus den ersten beiden Wellen weicht einer gewissen Normalisierung

Unter den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen war in den ersten beiden Wellen die Angst vor einer Infektion ein wichtiges Entscheidungskriterium gegen die Nutzung von Pflegediensten oder Pflegeheimen. Zudem verringerte die erhöhte Zahl der Personalausfälle die Kapazitäten der Versorgung. Nach der Zulassung der Impfstoffe und der Impfkampagne in den Pflegeheimen wandelte sich das Bild. Die stationäre Pflege wurde wieder mehr genutzt und erreichte Ende 2021 etwa wieder das Niveau von der Zeit vor Corona.

Die finanzielle Überbelastung der Pflegeversicherung ist nicht durch staatliche Zuschüsse ausgeglichen

Die Autoren der Studie kritisieren, im Koalitionsvertrag werde versprochen, die pandemiebedingten Zusatzkosten der Pflegeversicherung aus Steuermitteln zu finanzieren. Tatsächlich stünden den bis zum Ende des 1. Quartals 2022 aufgelaufenen Zusatzkosten von 9,2 Milliarden Euro bis zum Jahresende 2022 lediglich steuerfinanzierte Bundeszuschüsse in Höhe von 4,0 Milliarden Euro gegenüber. Ein Betrag von 5,2 Milliarden Euro verbleibe damit bei der Pflegeversicherung.

Lernen aus der Krise

„In der Bevölkerung wird COVID-19 derzeit nicht mehr als so risikoreich wahrgenommen, und die Pflege scheint nicht mehr in so besonderem Maße betroffen zu sein wie in den ersten beiden Wellen“, sagt Professor Rothgang. „Dennoch zeigen sich immer noch erhöhte Infektions- und Mortalitätsraten bei den Pflegebedürftigen. Schutzmaßnahmen sollten daher nicht gänzlich abgebaut werden.“ Da nicht vorauszusehen sei, ob sich weitere Virusvarianten durchsetzen, die zu schweren Verläufen führen, plädiert der Wissenschaftler dafür, dass hierfür entsprechende Vorbereitungen getroffen werden sollten.

Weitere Informationen:

BARMER Pflegereport: https://www.socium.uni-bremen.de/uploads/News/2022/20221129_BARMER_Pflegereport_2022.pdf


Statement Rothgang: https://www.socium.uni-bremen.de/uploads/News/2022/20221129_Statement_Rothgang_Pflegereport2022.pdf


Präsentation Rothgang: https://www.socium.uni-bremen.de/uploads/News/2022/20221129_Prasentation_Rothgang_Pflegereport2022.pdf


Fragen beantworten:

Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Tel.: +49 421 218-58557
E-Mail: rothgangprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

Dr. rer. pol. Rolf Müller
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Tel.: +49 421 218-58554
E-Mail: rmintprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

Pflegekraft sitzt am Bett einer älteren Frau und hält ihre Hand
Pflegebedürftige und das Personal in Einrichtungen waren während der Corona-Pandemie am stärksten betroffen. Zu dem Ergebnis kommt der diesjährige Pflegereport, den das SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen im Auftrag der BARMER Krankenkasse erstellt hat.