Wer darf vom Sozialstaat profitieren und wer nicht? Die Frage, was wir als sozial gerechte Verteilung empfinden, bietet viel Zündstoff. Ein Forscherteam der Universität Bremen untersucht, nach welchen Maßstäben Mitglieder einer Gemeinschaft Verteilungsentscheidungen als gerecht beurteilen. Eine zentrale Frage dabei ist, ob eine Verteilung nach Bedarf von Mitgliedern der Gemeinschaft anerkannt wird – einerseits innerhalb eines Staates, andererseits über nationale Grenzen hinaus.
Was ist für wen gerecht?
„Gemeinsam mit unseren Projektpartnern erarbeiten wir eine Theorie der Bedarfsgerechtigkeit“, sagt Professor Frank Nullmeier vom SOCIUM Forschungsinstitut Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Durch Experimente, in denen Gruppen über die Verteilung von Gütern gemeinsam beraten und entscheiden, wollen die Forschenden beobachten, was Menschen als gerechte Verteilung empfinden und an welchen Gerechtigkeitsmaßstäben sie ihr Verhalten ausrichten. Nullmeier leitet das Bremer Projekt mit seiner Kollegin Dr. Tanja Pritzlaff-Scheele vom SOCIUM Forschungsinstitut Ungleichheit und Sozialpolitik. Es ist Teil der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschergruppe „Bedarfsgerechtigkeit und Verteilungsprozeduren“ (FOR 2104). Die insgesamt acht Projekte haben kürzlich von der DFG die Bewilligung für eine zweite Förderphase erhalten. Die Gesamtsumme beträgt 2,4 Millionen Euro für drei Jahre. Das Bremer Projekt wird mit 235.000 Euro gefördert. Beteiligt sind neben der Universität Bremen und der Jacobs University Bremen die Universitäten Hamburg, Oldenburg, Wien (Österreich) und die Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur (Schweiz). Die Gesamtleitung liegt bei Professor Stefan Traub von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Bedarfsgerechtigkeit ist anerkannter als Leistungsprinzip
Ein Ergebnis der ersten Förderphase von 2015 bis 2018 ist, dass Personen, die an Verteilungsentscheidungen beteiligt sind, die Orientierung an individuellen Bedürfnissen als besonders gerecht empfinden. Im Vergleich zu anderen Prinzipien, wie etwa Leistung oder Gleichheit, erhält das Bedarfsprinzip deutlich mehr Zustimmung, wenn es um die gerechte Verteilung von Ressourcen geht. „Es hat sich gezeigt, dass bedarfsgerechte Verteilungen von Steuern oder Sozialleistungen gesellschaftlich anerkannter und ökonomisch nachhaltiger sind als solche, die sich rein an Leistung oder Gleichheit orientieren“, erläutert Frank Nullmeier.
Welche Faktoren verändern das Gerechtigkeitsempfinden?
In der zweiten Projektphase will das Bremer Forscherteam bis 2021 untersuchen, unter welchen Bedingungen von dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit abgewichen wird oder verschiedene Gerechtigkeitskriterien miteinander kombiniert werden. Dabei rücken verstärkt Fragen der globalen Gerechtigkeit, der politischen Ethik der Migration und der gerechten Entwicklungspolitik in den Fokus. Verschiedene Szenarien sollen durchgespielt werden, in denen Faktoren, wie zum Beispiel ein größeres Maß an Immigration oder entwicklungspolitische Transfers an Länder mit niedrigem Einkommen eine Rolle spielen. „Wir wollen herausfinden, wie stabil Bedarfsbestimmungen in diesen veränderten Szenarien sind“, stellt Dr. Tanja Pritzlaff-Scheele das Forschungsinteresse der Gruppe dar. „Wie verändert sich beispielsweise das Gerechtigkeitsempfinden durch die Aufnahme weiterer Personen in die Verteilungsgemeinschaft? Diese Erkenntnisse können nützlich sein, für Auseinandersetzungen um Verteilungsgerechtigkeit, wie wir sie aktuell im Kontext der fluchtbedingten Zuwanderung erleben “, sagt die Wissenschaftlerin.
Weitere Informationen:
http://bedarfsgerechtigkeit.hsu-hh.de/
Fragen beantwortet:
Prof.Dr. Frank Nullmeier
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
Universität Bremen
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58576
E-Mail: frank.nullmeierprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de