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Berufsverbot im öffentlichen Dienst: Neue szenische Lesung widmet sich dem Radikalenerlass in den 1970er Jahren

Universität Bremen und bremer shakespeare company stellen mehrere Bremer Fälle vor – unter ihnen ist die heutige Professorin Heidi Schelhowe / Premiere am 27. September / Projekt „Aus den Akten auf die Bühne“ feiert dieses Jahr zehnjähriges Bestehen

Nr. 183 / 21. September 2017 MM

Es war ein Berufsverbot, das vor allem junge Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollten, schwer traf und verunsicherte: Vor 45 Jahren haben die Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass unterzeichnet. „Verfassungsfeinde“ sollten aus dem öffentlichen Dienst – Verwaltung, Polizei, Schulen und Hochschulen – entfernt beziehungsweise gar nicht erst eingestellt werden. Mit den Ursachen und Folgen dieses Beschlusses und dessen Umsetzung in Bremen befasst sich die mittlerweile 11. szenische Lesung des erfolgreichen Projekts „Aus den Akten auf die Bühne“. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Geschichtsstudierenden der Universität Bremen und der bremer shakespeare company (bsc). Unter dem Titel „Staatsschutz, Treuepflicht, Berufsverbot –  (k)ein abgeschlossenes Kapitel der westdeutschen Geschichte“ findet am Mittwoch, 27. September 2017, um 19.30 Uhr die Premiere in der Hochschule für Künste statt (Dechanatstraße 13-15, 28195 Bremen). Dabei wird auch Jutta Rübke, niedersächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Schicksale der von Berufsverboten betroffenen Personen, anwesend sein. Karten gibt es für jeweils 13 Euro (ermäßigt 6 Euro) bei der bsc. Weitere Termine finden am 17. Oktober, 23. November und 19. Dezember jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz statt. Am 3. Dezember beginnt die Lesung bereits um 18 Uhr mit einer anschließenden Podiumsdiskussion.

Anwalt gab Akten an das Staatsarchiv

Grundlage der Lesung sind mehrere Fälle aus Bremen. Ihre Akten liegen im Staatsarchiv, da ihr Rechtsanwalt Gerhard Baisch sie dorthin gegeben hatte. Die meisten Betroffenen haben eingewilligt, dass ihre Akten „zum Sprechen“ gebracht werden dürfen. Mit ausgewählten Dokumenten und Artikeln aus der nationalen und internationalen Presse wird der Radikalenbeschluss in der Geschichte Westdeutschlands verortet.

Zwei Beispiele: der Fall Heidi Schelhowe und Horst Holzer

Ein Fall betrifft Heidi Schelhowe, die heute Informatikprofessorin der Universität Bremen ist. Vor ihrer wissenschaftlichen Laufbahn machte Schelhowe von 1973 bis 1975 ein Referendariat und die Prüfung für das Lehramt an Gymnasien in Bremen. Sie unterstützte den Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW). Nach einem mehrjährigen Rechtsstreit wurde sie deshalb im Jahr 1982 aus dem Staatsdienst entlassen. Ein weiterer Fall ist der des Kommunikationswissenschaftlers Horst Holzer. Der Bremer Senat lehnte im Juli 1971 seine Berufung an die neue Universität ab, weil Holzer Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) war. Diese Entscheidung hatte gravierende biografische Folgen für den Wissenschaftler. Er verlor seine Professur an der Universität München und auch andere Wissenschaftsministerien lehnten seine Berufung ab. Alle weiteren Versuche, im Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen, schlugen fehl.

„Die Forschung steht noch in den Anfängen“

„Die Forschung zum Radikalenbeschluss, der die kritischen Vertreterinnen und Vertreter einer Generation verunsicherte, steht noch in den Anfängen“, erklärt die Leiterin des Projekts, Eva Schöck-Quinteros. „Bremen ist unter mehreren Gesichtspunkten besonders spannend.“ Bedeutende Aspekte seien etwa die Gründung der Universität und die Sorge des Staates, dass vor allem „linke Extremisten“ von ihr angezogen würden, in Bremen studieren wollten oder sogar Stellen bekämen. Hinzu kam Bremens damalige Bürgermeister Hans Koschnick, der relativ früh den „Extremistenbeschluss“ als Fehler bezeichnete und dessen Anwendung zu entschärfen versuchte. Schließlich beschlossen Bürgerschaft und Senat – nach jahrelangen Initiativen der Fraktion Die Grünen –, die Richtlinien aufzuheben, die Betroffenen zu rehabilitieren und zu entschädigen. Ein Sammelband mit Beiträgen, zahlreichen Abbildungen und Dokumenten wird zu der Premiere erscheinen. Herausgeberinnen sind Sigrid Dauks vom Universitätsarchiv sowie Anna Mamzer und Eva Schöck-Quinteros vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen.

„Aus den Akten auf die Bühne“ feiert zehnjähriges Bestehen

Unter dem Motto „Aus den Akten auf die Bühne“ entstehen seit 2007 Geschichts- und Theaterprojekte zu Themen aus der Vergangenheit der Hansestadt. Das zweisemestrige Projekt bietet die Dozentin Dr. Eva Schöck-Quinteros im Studienschwerpunkt „Geschichte in der Öffentlichkeit“ an. Die dramaturgische Gestaltung und künstlerische Umsetzung übernimmt die bremer shakespeare company. Ziel ist es, quellenbasierte Forschung anschaulich zu vermitteln. Dabei ermöglicht das Projekt einen vielfältigen Blick auf historische Prozesse und deren Aktualität in heutigen Debatten. Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Projektreihe findet im Theater der bremer shakespeare company am Leibnizplatz die Tagung „Geschichte im Rampenlicht“ vom 19. bis 21. Oktober 2017 statt.

Kontakt:

Universität Bremen
Institut für Geschichtswissenschaft
Dr. Eva Schöck-Quinteros
Telefon: 0421 218-67251
E-Mail: esqprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de