Viele Bereiche des Handels sind bereits umfassend digitalisiert: Vom Einkauf über die Lagerhaltung bis zur Bezahlung der Waren werden die Geschäftsprozesse mittlerweile elektronisch abgewickelt. Das Herz des Einzelhandels bildet aber noch immer die Filiale vor Ort – und sie ist aus Sicht der Informationstechnologie eine „Black Box“, deren Funktionsweise sich nur indirekt und zeitverzögert analysieren lässt. Dies stellt für den stationären Handel einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem reinen Onlinehandel dar, denn das Produktangebot ist vergleichsweise unflexibel und die Filiallogistik verschlingt erhebliche Kosten.
Im Rahmen des Projekts „Knowledge4Retail“ (K4R) werden nun Technologien entwickelt, die dem Einzelhandel einen Zugriff auf neueste Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) ermöglichen sollen, um diese Nachteile auszugleichen. Zum Auftakt des Projekts trafen sich am 14. und 15. Januar 2020 rund 50 Vertreter der Projektpartner an der Universität Bremen, um die Arbeiten offiziell anzustoßen.
Gemeinsam planen sie den Aufbau einer digitalen Plattform, die für alle Interessierten frei zugänglich und nutzbar ist. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert K4R im Rahmen des Innovationswettbewerbs Künstliche Intelligenz über die nächsten drei Jahre mit insgesamt 13 Millionen Euro.
Chance für den stationären Einzelhandel
Der Einzelhandel ist in Deutschland mit rund 3 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Branche, allerdings haben viele stationäre Händler weiterhin Schwierigkeiten, sich gegen den reinen Onlinehandel zu behaupten. Auf dem Spiel stehen nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch die Attraktivität der Stadtzentren und die Steuereinnahmen für Kommunen.
„Die Digitalisierung ist eine Chance für den stationären Einzelhandel“, betonte Andreas Wulfes von der team neusta GmbH, dem Konsortialführer des Projekts, beim Kickoff. Die K4R-Plattform werde die Grundlage für Anwendungen in den Bereichen Kundenservice, Logistik, Sortimentsmanagement und Robotik bilden.
Die Anwendungen nutzen dabei eine virtuelle, aber realitätsgetreue 3D-Abildung des Geschäfts mit allen Regalen und jedem einzelnen Produkt. Professor Michael Beetz vom Institut für Künstliche Intelligenz (IAI) der Universität Bremen nennt dies einen „semantischen digitalen Zwilling“, weil das digitale Abbild optisch aussieht wie das Original, gleichzeitig aber auch Fragen über seinen Zustand beantworten kann. Wo steht das Shampoo? Welche Produkte müssen in den Regalen nachgefüllt werden? Welche gesundheitsgefährdenden Produkte sind für Kinder zugänglich? Um maschinenverständliche Antworten auf vielfältigste Fragen bekommen zu können, wird das Abbild der Filiale mit verschiedenen Wissensbasen verknüpft, beispielsweise einer Produktdatenbank oder einem Warenwirtschaftssystem.
Filialen mit individuellem Produktsortiment
Als Pilotanwender ist die Drogeriemarktkette dm im Projekt vertreten, die alleine in Deutschland 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Sie fokussiert sich zunächst auf Anwendungen in den Bereichen Filiallogistik und Sortimentsmanagement. So sollen beispielsweise schon im Lager neue Waren bedarfsgerecht vorsortiert werden, damit sie in der Filiale schnellstmöglich und platzsparend in die Regale gefüllt werden können – ohne verstopfte Gänge und umfassendes Rangieren von Paletten. Die neue Transparenz der Filiale soll auch helfen, Produkte gezielter für die jeweilige Kundschaft einer Filiale auszuwählen und verkaufsfördernd zu platzieren – alles natürlich unter Wahrung des Datenschutzes.
Um den vielfältigen Anforderungen gerecht werden zu können, vereint K4R zahlreiche Partner mit unterschiedlichen Kompetenzen. Konsortialpartner aus der Wissenschaft sind die Universität Bremen, die TU München, die Fraunhofer-Institute IPA und IIS, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das EHI Retail Institute. Ebenfalls dabei sind die Unternehmen Allgeier, dm, dmTech, fortiss, Team Neusta, Neusta Software Development und Ubimax. Weitere Interessenten können noch eingebunden werden.
Axel Kölling
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Sabine Veit
Geschäftsführerin Institut für Künstliche Intelligenz
Tel. +49 421 218-64005
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