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Graphenähnliche Materialien: Universität an SPP beteiligt

Graphen gilt als „Wunderstoff der Zukunft“, weil es völlig neue Produkte und Anwendungen ermöglicht – aber es ist inzwischen nur eines von vielen atomar dünnen Materialien. In die Forschungsaktivitäten zu diesen „van der Waals-Materialien“ ist auch die Universität mit drei Projekten eingebunden.

Graphen gehört inzwischen zu einer großen Familie zweidimensionaler (2d) Materialien, die auf Grund ihrer vielseitigen Eigenschaften weltweit zu einer bemerkenswerten Forschungsaktivität geführt haben. Zu diesen gehört auch das Schwerpunktprogramm SPP2244 der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Titel „2D Materialien – die Physik von van der Waals [Hetero-]Strukturen (2DMP)“, das von der TU Dresden koordiniert wird. „Das Programm verbindet viele der führenden universitären Forschungsgruppen in Deutschland und hat ein Gesamtfördervolumen von rund 7 Millionen Euro“, sagt Dr. Christopher Gies vom Institut für Theoretische Physik der Universität Bremen. „Die Universität Bremen ist in SPP2244 gleich mit drei Projekten und einem Fördervolumen von etwa 650.000 Euro vertreten.“ Benannt sind die untersuchten Materialien nach dem niederländischen Physiker Johannes Diderik van der Waals, der einst unter anderem unter anderem das Verhalten von Molekülen erforscht und 1910 den Nobelpreis für Physik erhalten hatte.

Dass die Bremer Uni in dem ambitionierten Forschungsprogramm so nachhaltig präsent ist, liegt laut Gies auch an der hohen Expertise, die in den vergangenen Jahren im Rahmen der Bremer Graduiertenschule „Quantum Mechanical Materials Modelling - QM3“ erarbeitet wurde. Die Graduiertenschule beschäftigt sich seit viereinhalb Jahren intensiv mit der Modellentwicklung für die computergestützte Simulation neuartiger Quantenmaterialien.

Heterostrukturen von 2d Materialien im Fokus

In dem DFG-Schwerpunktprogramm der DFG stehen insbesondere Heterostrukturen von 2d Materialien im Mittelpunkt. Aufgrund der schwachen Bindung zwischen den einzelnen Lagen im Kristall lassen sich atomar dünne Schichten einfach lösen und in vielfältigen Kombinationen auch wieder aufeinanderstapeln. Dieses Baukastensystem ermöglicht Materialdesign auf der Quantenebene: Forscher können elektronische und optische Eigenschaften einstellen und manipulieren und damit Materialien für neuartige Anwendungen und Grundlagenforschung erschaffen.

Von großem Interesse gerade für die Bremer Forscher sind Anwendungen in der Optik und die Erforschung stark korrelierter Elektronenzustände. Hierbei geht es im ersten Fall um Materialien, die Licht ganz gezielter Farbe aussenden können, dabei aber extrem sensitiv auf ihre direkte Umgebung (beispielsweise die Gegenwart bestimmter Stoffe in der Luft) und auf Verspannung regieren. „Diese Eigenschaften lassen sich beispielsweise für LEDs und Mikrolaser nutzen, die auf Chips integriert werden, oder für neuartige optische Sensoren“, erläutert der Physiker Gies. Starke Korrelationen zwischen Elektronen spielen eine bedeutende Rolle für die Erforschung von Supraleitung, einer besonderen Form elektrischer Leitfähigkeit, in der Strom völlig verlustfrei transportiert werden kann.

Worum geht es in den Bremer Projekten?

Im Vorhaben von Dr. Christopher Gies steht die Wechselwirkung von Licht mit Elektronen in Heterostrukturen von halbleitenden 2d Materialien im Mittelpunkt. Stapelt man einzelne Atomlagen sogenannter Übergangsmetalldichalkogenide (dies sind beispielsweise Materialien wie MoSe2 oder WSe2), erzeugt man eine sogenannte Typ-II Heterostruktur, in der sich durch Lichteinstrahlung angeregte Elektronen trennen und in die beiden Lagen verteilen. Aufgrund starker Wechselwirkung sind die Ladungsträger dennoch gebunden. Sie bilden somit eine Einheit, die Forscher als Interlagen-Exzitonen (IX) bezeichnen.

Weil die Bestandteile der IX räumlich voneinander getrennt sind, sind diese besonders langlebig und ermöglichen die Erforschung von Korrelationseffekten, wie Bose-Einstein Kondensation und Superradianz. Das Erzeugen dieser besonderen Materieformen soll durch das Einbetten der Heterostruktur in optische Kavitäten weiter begünstigt werden. Optische Kavitäten kennt man beispielsweise von Lasern. Sie dienen dem Einschluss von Licht und sollen hier die Wechselwirkung der Exzitonen mit Licht so weit verstärken, das neue Quasiteilchen entstehen – also Teilchen, die die Eigenschaften beider Spezies, der IX und Lichtquanten, in sich vereinen.

Komplexe Quantenphänomene in Nanomaterialien

Das Projekt von Dr. Alexander Steinhoff fokussiert sich auf Heterostrukturen aus halbleitenden Übergangsmetalldichalkogeniden. Diese bieten aufgrund extrem starker Teilchen-Teilchen-Wechselwirkung und der kontrollierbaren Ausbildung besonderer räumlicher Strukturen (sogenannte Moiré-Gitter) eine einzigartige Plattform für Studien komplexer Quantenphänomene in Nanomaterialien. Das Forschungsvorhaben hat zum Ziel, diese bemerkenswerten Eigenschaften für Untersuchungen von Gasen aus quantenmechanischen Teilchen zu nutzen. Der Fokus wird dabei auf bisher unerforschten Vielteilchenzuständen liegen, die über das konventionelle Bild sogenannter Interlagen-Exzitonen (gebundener Zustände aus positiven und negativen Teilchen, die sich in jeweils unterschiedlichen Lagen befinden) weit hinausgehen und in die Bereiche dichter Fermi-Bose-Gemische sowie zunehmend exotischer Phasen der Fermi-Flüssigkeiten und korrelierter Elektron-Loch-Plasmen vordringen.

Zusammenspiel von Wechselwirkungen verstehen und kontrollieren

Das von Professor Tim Wehling durchgeführte Projekt untersucht, wie sich das kollektive quantenmechanische Verhalten von Elektronen in aus Moiré-Gittern bestehenden 2d Materialien kontrollieren lässt. Insbesondere die Familie der halbleitenden TMDCs – wie MoS2, WS2, MoS2, WSe2 – bildet hierbei eine vielversprechende Materialplattform. In entsprechenden [Hetero-]Strukturen wird ein komplexes und neuartiges Zusammenspiel von Elektron-Elektron- und Elektron-Phonon-Wechselwirkungen mit Minibändern, starker Spin-Bahn-Kopplung und Multivalley-Effekten erwartet. Abhängig von der Materialkombination, dem Verdrehungswinkel und der Dotierung sollten hier starke Elektronenkorrelationen realisierbar sein, die diese Systeme in Mott-isolierende, supraleitende, magnetische, exzitonische oder andere (quasi)geordnete Zustände mit verwobenen Spin-, Valley- und Bandfreiheitsgraden treiben könnten. „Unser Ziel ist es, das Zusammenspiel der oben genannten Freiheitsgrade und Wechselwirkungen zu verstehen“, so Tim Wehling.

 

Weitere Informationen:

Projekt Gies: https://2dmp.tu-dresden.de/projects/gies-schneider-reitzenstein/
Projekt Steinhoff: https://2dmp.tu-dresden.de/projects/steinhofflist-chernikov-hoegele/
Projekt Wehling: https://2dmp.tu-dresden.de/projects/wehling-wurstbauer/
www.uni-bremen.de

 

Fragen beantworten:

Dr. Christopher Gies
Tel. 0421/218-62052
E-Mail: giesprotect me ?!itp.uni-bremenprotect me ?!.de

Dr. Alexander Steinhoff
Tel. 0421/218-62047
E-Mail: asteinhoffprotect me ?!itp.uni-bremenprotect me ?!.de

Prof. Dr. Tim O. Wehling
Tel. 0421/218-62039
E-Mail: twehlingprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

alle Universität Bremen
Institut für Theoretische Physik (ITP)
 

Graphen
Nanomaterial-Forschung an der Universität Bremen: Exzitonen – bestehend aus einem negativ geladenen Elektron und einem positiv geladenen Loch –, werden in der Moiré-Landschaft in Potentialminima gefangen und senden von dort Licht aus. Illustration: Marc Bostelmann / Universität Bremen