Unsere Gene haben einen Einfluss darauf, wie stark der Grad religiösen Glaubens ist und wie häufig religiöse Praktiken unseren Alltag bestimmen. In einer Metaanalyse von sämtlichen Zwillings- und Familienstudien zu Religiosität seit 1999 konnte diese Annahme bestätigt werden.
Darüber hinaus konnten neue Einblicke in das Anlage-Umwelt-Wechselspiel bei der Entwicklung von Religiosität über die Lebensspanne gewonnen werden, wie Christian Kandler, Professor für Psychologie an der Universität Bremen erklärt: „Genetische Unterschiede kommen erst im Laufe der Entwicklung zur Entfaltung. Und außerfamiliale erfahrungsabhängige Unterschiede in Religiosität, die stark geprägt sind durch das soziale Umfeld wie beispielsweise durch Lebenspartnerinnen und -partner, kommen im Laufe des Lebens zunehmend mehr zum Tragen. Gleichzeitig nimmt der Einfluss der Herkunftsfamilie mit dem Alter ab.“
Gerade die Religiosität der Lebenspartnerinnen und -partner scheint eine bedeutsame Rolle in Bezug auf die eigene Religiosität im Erwachsenenalter zu spielen. Das legen Ähnlichkeiten in der Partnerschaft in religiösen Überzeugungen und Alltagspraktiken nahe.
Jugendliche sind unabhängig vom Elternhaus empfänglich für radikale Ansichten
Der Trend ist besonders im ersten Lebensdrittel sichtbar und bedeutet, dass mit zunehmender Selbstbestimmung und Loslösung vom Elternhaus individuelle Besonderheiten und Vorlieben, was die religiösen Ansichten und Ausübung von religiösen Praktiken im Alltag angeht, stärker zum Ausdruck kommen. Wenn diese individuellen Besonderheiten genetisch angelegt sind, zeige sich dies darin, dass der genetische Einfluss auf beobachtbare Unterschiede im Laufe der Entwicklung wächst. „Diese genetischen Unterschiede sind sehr wahrscheinlich vermittelt durch relevante Persönlichkeitsmerkmale wie Vertrauenswürdigkeit und Toleranz“, sagt Professor Kandler.
Dass darüber hinaus der Einfluss der Herkunftsfamilie abnimmt, während der Einfluss anderer wichtiger Bezugspersonen an Bedeutung gewinnt „kann Erklärungen dafür liefern, warum sich manche Jugendliche von radikalen religiösen Ansichten angesprochen fühlen, obwohl der religiöse Hintergrund ihrer Herkunftsfamilie eigentlich gar nicht dazu passt.“
Ebenso passe diese Befundlage zu der allgemeinen Beobachtung, „dass sich mehr und mehr junge Menschen von traditionellen Praktiken und veralteten religiösen Überzeugungen und Vorstellungen abwenden und ihre familiengeprägte Religionszugehörigkeit auch ablegen oder gar neu interpretieren wollen“, so der Wissenschaftler.
Weitere Informationen:
https://www.uni-bremen.de/pppd
https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2020.09.011
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Christian Kandler
Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik
Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften
Universität Bremen
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Telefon: +49 421 218-68770