„Der Gene-Drive-Mechanismus soll dafür sorgen, dass sich gentechnische Veränderungen möglichst schnell in wildlebenden Populationen ausbreiten“, erläutert Professor Arnim von Gleich, Leiter des Fachgebiets "Technikgestaltung und Technologieentwicklung“ im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen und Projektkoordinator der Studie. Bei sexueller Fortpflanzung würden die genetischen Veranlagungen normalerweise mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf die nachfolgenden Generationen vererbt. Der Gene Drive greift dagegen so in die natürliche Vererbung ein, dass möglichst alle Nachkommen die veränderten Gene erben, wie von Gleich darlegt. Wurde bei bisherigen gentechnischen Projekten darauf geachtet, dass die veränderten Organismen nicht entweichen, sind die Gene-Drive-Organismen dafür gemacht, in der Umwelt zu überdauern und sich über unbeschränkte Zeiträume in den natürlichen Populationen auszubreiten.
Diskutiert wird in der Wissenschaft der Einsatz von Gene Drives beispielsweise unter anderem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Insekten wie Mücken und Fruchtfliegen, aber auch Nagetieren wie Mäusen und Ratten. Das Ziel besteht entweder darin, die jeweiligen Arten zu dezimieren oder sie durch gentechnisch veränderte Populationen zu ersetzen.
Untersucht wurden Olivenfliegen und Raps
Im Mittelpunkt der Pilot-Studie stand die Frage, ob durch die Gene Drives sogenannte Kipp-Punkte erreicht werden, bei deren Überschreiten Ökosysteme unwiederbringlich verändert werden, etwa indem Nahrungsketten unterbrochen oder andere Systemleistungen verloren gehen.
In zwei Fallstudien wurden sowohl potenzieller Nutzen als auch potenzielle Risiken von Gene-Drive-Anwendungen bei Olivenfliegen und Raps untersucht. Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Unterschied von Umwelt- und Laborbedingungen zu einer mangel- und fehlerhaften Einschätzung der Folgen im Ökosystem führen könne. Eine ausführliche Technikfolgenabschätzung und Risikobewertung sei daher unerlässlich. „Berechtigte Bedenken und Besorgnis müssen bereits zu einem frühen Zeitpunkt der technischen Entwicklung berücksichtigt werden“, betont der Biologe, der unter anderem Mitglied in der NanoKommission der Bundesregierung war, die zu Chancen und Risiken der Nanotechnologie beriet.
Kein Widerspruch: Vorsorge und Innovation
Von Gleich und seine Studien-Kolleginnen und -Kollegen plädieren für das Vorsorgeprinzip: Die Fähigkeit zur Selbstvermehrung und Verbreitung der gentechnisch veränderten Organismen führt zu völlig unüberschaubaren Interaktionen und Folgen in der Umwelt. Dieses Ausmaß an Unsicherheiten und die Grenzen des Wissens sollten Anlass sein, solche Freisetzung sorgfältig zu überdenken und abzuwägen und nach risikoärmeren Alternativen zu suchen. Sie sprechen sich für eine politische Regulierung dieser neuen Ansätze der gentechnischen Veränderung von Tier- und Pflanzenpopulationen aus und zwar derart, dass „Vorsorge und Innovation nicht im Widerspruch zueinander stehen“.
Die Projektkoordination des Verbundprojekts lag im Fachgebiet Technikgestaltung und Technologieentwicklung im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen. Das Forschungsprojekt wurde von 2017 bis 2019 gemeinsam von den Universitäten Bremen und Vechta, der Universität für Bodenkultur Wien sowie Testbiotech München durchgeführt. Das Projekt wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit 200.000 Euro finanziert.
Die Ergebnisse des Projekts „GeneTip - Genetische Innovationen als Auslöser für Phasenübergänge in Populationsdynamiken von Tieren und Pflanzen“ wurden jüngst im Springer-Verlag unter dem Titel „Gene Drives at Tipping Points“ veröffentlicht (kostenfreier Zugang).
Weitere Informationen:
Projektbericht (deutsch): https://www.genetip.de/wp-content/uploads/GeneTip_Endbericht.pdf
Publikation „Gene Drives at Tipping Points“ (englisch): https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-030-38934-5.pdf
Fragen beantwortet:
Fachbereich Produktionstechnik
Fachgebiet Technikgestaltung und Technologieentwicklung
Universität Bremen
Prof. Dr. Arnim von Gleich
Tel.: +49 421 218-64880
E-Mail: gleichprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de