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Papierlos, aber nicht rechtlos: Die unsichtbaren Kinder

Studie der Universität Bremen untersuchte bundesweit 100 Grundschulen zum Umgang mit Kindern, die keine Aufenthaltspapiere haben

Nr. 284 / 29. Oktober 2015 RO

Dürfen Kinder, die keine Aufenthaltspapiere haben – sogenannte papierlose Kinder – in Deutschland zur Schule gehen? Nein, meinen sechs von zehn Grundschulen in einer aktuellen Studie der Universität Bremen. Und damit liegen sie falsch. Jedes Kind darf zur Schule gehen – so verlangt es internationales Recht. „Der Rechtsanspruch auf Schule gilt für alle Kinder, unabhängig von ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation“, sagt die Bildungsexpertin Yasemin Karakasoglu, Professorin im Fachbereich Erziehungswissenschaften und Konrektorin für Internationalität und Diversität der Universität Bremen. Zusammen mit Dr. Dita Vogel und Barbara Funck, beide ebenfalls aus dem Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung hat sie die Schulaufnahmemöglichkeit eines papierlosen Kindes in 100 Grundschulen im gesamten Bundesgebiet untersucht. Ein Ergebnis: Bei 62 Prozent der Schulen wurde keine Möglichkeit zur Schulanmeldung dieser Kinder aufgezeigt. In einigen Schulen und Schulbehörden wurde sogar irrtümlich angenommen, dass die Polizei informiert werden müsse.

Zum Hintergrund

Die Zahl der papierlosen Kinder in Deutschland wird auf einige Tausend bis einige Zehntausend geschätzt. Wie viele Kinder davon tatsächlich die Schule besuchen, ist unklar.  Lange war umstritten, ob Schulen an die Ausländerbehörden melden müssen, wenn sie mitbekommen, dass ein Kind ohne Aufenthaltspapiere in Deutschland lebt. Eine prekäre Situation: Die Familien mussten befürchten, wegen illegalen Aufenthaltes abgeschoben zu werden, wenn sie versuchen, ihr Kind in einer Schule anzumelden. Damit aber jedes Kind ohne Angst zur Schule gehen kann, wurde 2011 bundesgesetzlich klargestellt, dass Bildungseinrichtungen keine Informationen an die Ausländerbehörden weitergeben müssen. „Jedoch gab es Hinweise von Beratungsstellen, dass die Schulanmeldung papierloser Kinder nach wie vor nicht gelingt. Dem wollten wir auf den Grund gehen“, erklärt Dr. Dita Vogel.

Die Studie der Universität Bremen

Mit einer telefonischen Umfrage von Mai bis Juli 2015 untersuchten die Bremer Wissenschaftlerinnen, ob und wie die Schulaufnahme aufenthaltsrechtlich nicht registrierter Kinder in Deutschland funktioniert. Nach einem Zufallsprinzip wurden in allen Landeshauptstädten und in allen Großstädten mit über einer halben Million Einwohnern die Schulen ausgewählt. Wegen ihrer Vergleichbarkeit wurden Öffentliche Grundschulen  ausgesucht. Um eine hohe Antwortquote zu erreichen, wurden nur drei kurze Fragen zu Beispielfällen gestellt. Die Studie mit dem Titel „Es darf nicht an Papieren scheitern“ wurde von der Max-Traeger-Stiftung in Auftrag gegeben.

„Man kann ja nicht einfach in eine Schule reinwandern“

Ein weiteres Ergebnis der Studie zeigt, dass Schulleitungen oft unsicher sind, wie die rechtliche Grundlage in solchen Fällen ist. Oftmals verweisen sie an höherrangige oder spezialisierte Stellen in der Bildungsadministration. Aber auch dort wird von der Hälfte der Stellen keine positive Aussage zur Schulaufnahmemöglichkeit getroffen. Darüber hinaus verweisen viele Schulen darauf, dass es bürokratische oder technische Hindernisse gibt, so dass sie die Kinder nicht aufnehmen können. So sei eine Meldebestätigung „definitiv“ erforderlich und ohne sie eine computertechnische Erfassung nicht möglich.

„Bei einigen Reaktionen klangen Vorbehalte gegenüber Zuwanderung durch“, so Dita Vogel. „Eine Antwort lautete: ‚Man kann ja nicht einfach in eine Schule reinwandern.‘ Das klingt nicht danach, als ob für jedes Kind eine Lösung gesucht wird.“

Die Handlungsempfehlungen

Zum Schluss haben die Bremer Wissenschaftlerinnen konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt, wie eine verbesserte Informationspolitik die Situation für beide Seiten entlasten kann:

* Ein Zusatz in den Landesschulgesetzen, dass alle Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus einen Anspruch auf Einschulung haben, stellt das Schulrecht von papierlosen Kindern unmissverständlich klar.
* Wenn Daten nicht gemeldet werden müssen, dürfen diese auch nicht weitergegeben werden.
* Schulleitungen müssen auch bei schwierigen Fällen auf Einschulungsanfragen reagieren und sich um passende Wege kümmern. Dazu müssen die Schulbehörden und Ministerien Verfahren bereitstellen.
* Das Schulpersonal sollte die Botschaft, dass jedes Kind zur Schule gehen kann, auch an Eltern in prekären Situationen vermitteln.

Achtung Redaktionen: Die Studie „Es darf nicht an Papieren scheitern“ steht im Internet unter: www.fb12.uni-bremen.de/de/interkulturelle-bildung/forschung/aktuelle-forschung/irregulaere-migration.html #c2054

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Erziehungswissenschaften
Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung
Prof.Dr. Yasemin Karakasoglu
Tel.: 0421 218 69120, - 60040
E-Mail karakasoprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
und
Dr. Dita Vogel
Tel.: 0421 218 69122
E-Mail dita.vogelprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.fb12.uni-bremen.de/de/interkulturelle-bildung.html