Nr. 167 / 4. September 2017 JS
Zusammenhänge können ganz einfach sein: Man drückt einen Lichtschalter, das Licht geht an. Ursache und Wirkung sind klar erkennbar. Es gibt jedoch Systeme, in denen sie sich nicht eindeutig voneinander trennen lassen. Das ist beispielsweise bei manchen Krankheiten der Fall: Ein Mann leidet unter Depressionen. Es fällt ihm schwer, am alltäglichen Leben teilzunehmen. Die Depression kann die Ursache dieser Probleme sein – oder verstärken die Probleme vielleicht seine Depression? Ursache und Wirkung lassen sich nicht mehr eindeutig voneinander trennen.
In anderen Systemen lassen sich Ursache und Wirkung gar nicht erst identifizieren. Wenn Wasser allmählich abkühlt, verändert sich sein Zustand plötzlich von flüssig zu gefroren. Die einzelnen Wassermoleküle ändern sich jedoch kaum. Ein Wissenschaftler könnte also das Eis bis auf die einzelnen Moleküle auseinander nehmen und würde dennoch dort keine Erklärung für die dramatische Zustandsänderung des Gesamtsystems finden. Die Wirkung entsteht erst durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren.
Systeme, in denen sich Ursache und Wirkung nicht klar trennen lassen stellen Wissenschaftler aller Disziplinen vor große Herausforderungen. Während sich mit dem klassischen Kausalitätsmodell – Ursache bedingt Wirkung – Berechnungen und damit auch Vorhersagen durchführen lassen, fehlte es bislang an einem Konzept, das Ähnliches auch für komplexe Systeme leistet.
Erstmals mathematische Beschreibung kausaler Einflüsse in komplexen Systemen
Den Wissenschaftlern Daniel Harnack, Erik Laminski, Maik Schünemann und Physikprofessor Klaus Richard Pawelzik von der Universität Bremen ist es jetzt gelungen, die effektiven kausalen Einflüsse zwischen Komponenten auch in Systemen zu erfassen, in denen „das Ganze wesentlich anders ist als die Summe seiner Teile“, so Pawelzik. Ihre Theorie wurde nun unter dem Titel „Topological causality in dynamical systems“ im Fachmagazin Physical Review Letters veröffentlicht.
„Besonders an unserer Theorie ist auch, dass wir mit unserem Konzept sowohl den klassischen Kausalitätsbegriff als auch die kausalen Wirkungen in komplexen nichtlinearen dynamischen Systemen erfassen, in denen das Verhalten des Gesamtsystems sich nicht auf das der Komponenten mit einseitigen Wechselwirkungen reduzieren lässt“, erklärt Pawelzik. „Unser Vorschlag lässt sich also sowohl auf einfache wie auch auf komplexe Zusammenhänge anwenden.“ Dabei nutzt die Theorie gerade jene Eigenschaft, die das ursprüngliche Kausalitätskonzept verkompliziert hat: Wenn in einem dynamischen System eine vermeintliche Wirkung auch Ursache für eine andere Beobachtung ist, lässt sich aus dem zeitlichen Ablauf nur einer dieser Komponenten der Zustand des gesamten Systems rekonstruieren.
„Mit unserem Konzept der 'Topological Causality' ist der Grundstein gelegt für die Entdeckung bisher unsichtbarer Interaktionen in vernetzten Systemen, die zu einer verbesserten Beschreibung und Vorhersagbarkeit führt“, so Pawelzik. „Insbesondere das Enthüllen der zeitlichen Entwicklung einer kausalen Effektivität könnte sich als nützlich erweisen, um einen geeigneten Zeitpunkt zur Intervention – zum Beispiel in ökologischen Systemen – festzustellen“.
Der Artikel „Topological causality in dynamical systems“ ist hier abrufbar:
https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.119.098301
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Institut für Theoretische Physik
Prof.Dr. Klaus Pawelzik
Tel.: 0421/218-62001 oder 0176/83690226
E-Mail: pawelzikprotect me ?!neuro.uni-bremenprotect me ?!.de