Fünfeinhalbtausend Kilometer ist Professor Vitaly Ogleznev gereist, um seine wissenschaftliche Arbeit über 18 Monate in Bremen fortzuführen. Das Humboldt-Forschungsstipendium für erfahrene Wissenschaftler ermöglicht es ihm, sich mit seinem Gastgeber, Professor Lorenz Kähler, in spezielle Fragen der Rechtsphilosophie zu vertiefen. Wer dieses Stipendium erhält, ist ein überdurchschnittlich qualifizierter Wissenschaftler. Vitaly Ogleznev kommt aus Tomsk in Westsibirien. „Eine Region, die so groß ist wie ganz Deutschland“, sagt er. „Tomsk ist von hier aus weiter entfernt als New York“, ergänzt Lorenz Kähler.
Kontakt in Lissabon
Der Bremer Professor muss es wissen. Arbeitete er doch bereits an der Tomsk State University als Gastprofessor. Schnell kommt er ins Schwärmen über die endlosen Weiten der westsibirischen Tiefebene. Den Gast freut das sichtlich. Kennengelernt haben sich die beiden Rechtswissenschaftler vor zwei Jahren aber ganz woanders: Bei einem Kongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie in Lissabon. Dabei haben sie gemeinsame Forschungsinteressen festgestellt, eine Freundschaft hat sich zwischen ihnen entwickelt.
„Jedes Rechtssystem hat seine Sprache“
Der Gegenstand ihrer Forschungen ist sehr speziell. „In der Rechtsphilosophie wenden wir Methoden der Sprache und der Logik auf das Recht an“, sagt Professor Kähler. „Es geht“, so unterstreicht sein Gast Professor Ogleznev, „nicht so sehr um einzelne Paragraphen.“ Die seien im russischen und deutschen Recht sowieso verschieden. „Wichtiger ist für uns die Sprache. Jedes Rechtssystem hat seine Sprache. Kann man ein Gesetz ohne Weiteres in eine andere Sprache übersetzen?“ Das wollen die beiden in ihrer Kooperation unter anderem herausfinden. Gemeinsame Veröffentlichungen sind geplant.
Methodik der Dispute
Oberbegriff ist die „analytische Rechtsphilosophie“. Dazu gehören der sprachphilosophische Umgang mit Gesetzestexten und die Methodik der Dispute. „Die postmoderne französische Diskussionskultur ist eine andere als die amerikanische oder englische“, erläutert Kähler. Sein Gast hat nun bereits zwei größere Artikel von ihm ins Russische übersetzt. „Ich will Professor Kähler als Rechtsphilosoph bei uns bekannter machen“, sagt der Humboldt-Stipendiat.
Unterhaltung in mehreren Sprachen
Es ist interessant, dem Gespräch der Experten zu lauschen. Sie unterhalten sich auf Russisch, Englisch oder Deutsch, je nachdem, wer noch im Raum ist. „Deutsch kann ich allerdings kaum“, gibt Ogleznev zu, er arbeite aber dran. Da er mit einem DAAD-Stipendium vor einem Jahr schon einmal mit seiner ganzen Familie in Bremen war, ist ihm die Stadt vertraut. Sein elfjähriger Sohn besucht die Freie Waldorfschule in der Touler Straße in Schwachhausen. „Er spricht sehr gut deutsch“, lobt Lorenz Kähler. Der größte Unterschied zur westsibirischen Heimat des Gastes? „Bei uns liegt jetzt Schnee, und der bleibt fünf Monate lang mit hohen Minusgraden“, lacht er. „Es ist trocken und kalt. Das ist hier anders.“
Zur Person:
Vitaly Ogleznev hat seinen Master als Rechtswissenschaftler an der Tomsk University gemacht und anschließend ein Philosophiestudium begonnen. Er wurde in diesem Fach promoviert und hat sich habilitiert. „Damals war ich 30 Jahre alt und damit der jüngste habilitierte Philosoph in ganz Russland“, sagt der inzwischen 37-Jährige. Er unterrichtete auch an der Universität in St. Petersburg und ist nun das zweite Mal in Bremen.
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Lorenz Kähler
Fachbereich Rechtswissenschaft
Universität Bremen
Telefon: +49 421 218-66069
E-Mail: lkaehler@uni-bremen.de