Die Berufsausbildung nach dem dualen System ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Dieses System garantiert eine grundsolide Ausbildung sowie die Befähigung, den erlernten Beruf anschließend fundiert auszuüben. Diese Berufsausbildung in Betrieb und Schule, die sich weltweit als "Duales System" einen Namen gemacht hat, bedeutet Vermittlung von präzisem und praxisbetontem Fachwissen. Welche Erfahrungen werden mit dem dualen System in anderen Ländern gemacht? Zu dieser Fragestellung trafen sich Mitte September über 100 Bildungsexperten bei der INAP-Konferenz in Turin. Das Kürzel INAP steht für ‚International Network on Innovative Apprenticeship’ (Internationales Forschungsnetzwerk für innovative duale Berufsausbildung). Organisiert wurde die Tagung von der Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung (I:BB) der Universität Bremen, sowie der europäischen Organisation der Berufsbildungsforscher VETNET (European Research Network in Vocational Education and Training). Im Mittelpunkt der Tagung standen drei Schwerpunkte: „Übergang von der Schule in berufliche Karrierewege“, „Entwicklung und Messen/Evaluieren beruflicher Identität und Kompetenz“ und „Akteure und Steuerung der beruflichen Bildung“.
Die problematische Situation beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung in Deutschland trug in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem Anstieg des mittleren Ausbildungsalters um drei Jahre bei. Diese Entwicklung wurde als atypisch für die duale Berufsausbildung eingeschätzt, wie die Vergleichdaten aus den Nachbarländern Dänemark, Österreich, Norwegen und der Schweiz zeigten. In Österreich schließen im Durchschnitt die Auszubildenden ihre Ausbildung ab, wenn in Deutschland die Jugendlichen mit ihrer Ausbildung beginnen. Eine unterentwickelte Berufsorientierung und Ausbildungsberatung sowie die im internationalen Bereich große Gruppe der Risikoschüler (PISA) gelten als Ursache für diese Probleme des deutschen Bildungssystems.
Als eine große Herausforderung für die duale Berufsbildung gilt die Überwindung der zum Teil extrem großen Heterogenität in der Berufsentwicklung. INAP empfiehlt daher eine Initiative zur Internationalisierung der Berufsbilder in der Form offener Kernberufe, ein Konzept, bei dem es darum geht, Berufe regional an die spezifischen ökonomischen und kulturellen Bedingungen anzupassen. Der Bildungsexperte Professor Felix Rauner von der Universität Bremen, Chair des INAP-Boards, verwies in diesem Zusammenhang auf die Erfolgsgeschichte des Kfz-Mechatronikers. Dieser mittlerweile international weit verbreitete Beruf wurde in den 1990er Jahren im Rahmen eines europäischen Forschungsvorhabens entwickelt. Dieses Beispiel zeige auch, dass man die berufliche Bildung als ein Innovationssystem begreifen müsse, in dem die Berufsbildungspraxis, die Berufsbildungspolitik und die Berufsbildungsforschung miteinander interagieren. Internationale Kernberufe werden als eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung internationaler Arbeitsmärkte angesehen.
Über die gesellschaftliche und politische Gewichtung zwischen beruflicher und akademischer Bildung wurde kontrovers diskutiert. Der australische Bildungsforscher Professor Richard Sweet, University Melbourne, wies auf die PISA-Ergebnisse hin, wonach sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland, das heißt in den Ländern mit den am höchsten entwickelten dualen Berufsbildungssystemen, die soziale Herkunft der Schüler maßgeblich darüber entscheidet, ob sie den Weg zum Studium oder in eine duale Berufsausbildung einschlagen. Zudem würde dadurch die Mehrheit der Schüler der Weg zum Studium erschwert. Dies sei jedoch kein Merkmal des dualen Berufsbildungssystems, wie die Beispiele Norwegen und Dänemark zeigten.
Als ebenso kritisch wurde das Gegenbeispiel Australien mit der höchsten Rate von Studienanfängern (81%) und einer relativ hohen Ausbildungsquote von 4,1% bewertet. Dieser scheinbare Widerspruch resultiere daraus, dass rund zwei Drittel der australischen Auszubildenden Absolventen von Bachelorstudiengängen oder Studienabbrecher seien. Erst durch eine „Lehre“ verfügten sie schließlich über Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Einigkeit bestand zwischen den Berufsbildungsexperten darin, dass man zuletzt jeden Beruf praktisch erlernen muss, ob Arzt, Hochschullehrer, Steinmetz oder Industriekaufmann. „Am Prinzip der Dualität beruflicher Bildung führt daher kein Weg vorbei“, so Professor Philipp Gonon (Universität Zürich). In der Berufsbildungspraxis unterscheide man zwischen zwei Formen der Dualität, der integrierten (einphasigen) und der alternierenden (zweiphasigen) Dualität. Bei letzterer schließt sich an eine Phase berufsfachschulischen Lernens von 1 1/2 bis zwei Jahren eine ebenso lange Zeit der praktischen Einarbeitung in den Beruf an. Beide Formen der dualen Organisation der beruflichen Bildung stellen hohe Anforderungen an die Steuerung beruflicher Bildung. Nur wenige Konferenzteilnehmer konnten über gute Beispiele von „Governance“ – der koordinierten Steuerung beruflicher Bildung – berichten.
Im Tagungsschwerpunkt Kompetenzdiagnostik kamen die Experten zu dem Ergebnis, dass der Stand der Forschung dazu ermutige, international vergleichende Large-Scale-Untersuchungen durchzuführen. Eine deutsch-chinesische Forschungsgruppe legte Ergebnisse vor, die als wegweisend eingeschätzt wurden. Sie konnte zeigen, wie das Problem der Bewertung von Testergebnissen zu offenen Testaufgaben gelöst werden kann (Interrater-Reliabilität). Zudem wurde das Kompetenz- und Messmodell als international anschlussfähig eingeschätzt.
Die Ergebnisse der Turiner INAP-Konferenz sind in folgender Publikation zusammengefasst:
Rauner, F. Smith, E., Hauschildt, U. Zelloth, H.: „Innovative Apprenticeships: Promoting Successful School-to-Work Transitions“, Lit-Verlag, Münster, 2009. ISBN 978-3-64310367-3. 24,99 Euro, Internet: www.innovative-apprenticeship.net
Wetere Informationen:
Universität Bremen
FG Berufsbildungsforschung I:BB
Prof. Dr. Felix Rauner
Tel. 0421-218 4634
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