Nr. 263 / 6. Oktober 2016 SC
Es gibt nicht eine Frauenbewegung in der Türkei, sondern es gibt zahlreiche Frauenbewegungen. Sie unterscheiden sich in ihren Identitäten und ideologischen Positionen, in ihren regionalen Bezügen und in ihren Themenschwerpunkten. Aber alle eint ihr Kampf für Frauen-Menschenrechte. Das ist ein wesentliches Ergebnis der Veranstaltung „Building Bridges – Vernetzungsworkshop zu Frauen- und Geschlechterpolitiken in der Türkei und in Deutschland“, die am vergangenen Wochenende an der Universität Bremen stattfand. 25 Aktivistinnen, Frauen- und Genderforscherinnen aus der Türkei und Deutschland waren zusammengekommen, um sich über Positionen, Themen und Strategien im Feld der Frauen- und Geschlechterpolitiken beider Länder auszutauschen. Eingeladen dazu hatten die Wissenschaftlerinnen des Forschungsprojektes „Frauenbewegungen im innertürkischen Vergleich“, das seit 2014 am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen durchgeführt und von der Stiftung Mercator als eines von fünf Projekten des Programms „Blickwechsel. Studien zur zeitgenössischen Türkei“ gefördert wird.
Aktuelle politische Situation in der Türkei überschattet den Workshop
Neben der Vernetzung von Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen war es Ziel des Workshops, die ersten Ergebnisse der Forschungsprojektes „Comparing women´s movements in different cities in Turkey“ mit Expertinnen aus der Türkei zu diskutieren, die teilweise auch im Rahmen der Studie interviewt worden waren. Die Veranstaltung wurde allerdings von den politischen Repressalien gegenüber regierungskritischen Akademikerinnen überschattet. Fünf der eingeladenen Teilnehmerinnen aus der Türkei mussten aufgrund von Passentzug, Ausreiseverbot oder wegen unsicherer Perspektiven der Rückkehr ihre Teilnahme absagen.
Frauenbewegungen als dynamische Kraft für gesellschaftliche Veränderungen
Beim Workshop wurde deutlich, dass Frauenbewegungen mit ihren Themen, Aktivitäten und Aktionsformen nicht nur ein wichtiger Teil der sozialen Bewegungen in der Türkei insgesamt, sondern eine tragende Kraft für die Demokratiebewegung darstellen. Dabei können sie auf langjährige Erfahrungen mit Öffentlichkeitsarbeit und Auseinandersetzungen auf der Straße zurückgreifen, die es den beteiligten Frauen ermöglichen, ihre Interessen lautstark und öffentlichkeitswirksam zu artikulieren. Sie sind damit eine dynamische, mobile und unabhängige oppositionelle Kraft in der Gesellschaft. Autonomie gegenüber Staat und männlicher Dominanz sind wichtige gemeinsame Ziele der meisten im Projekt befragten Frauenbewegungen.
Die Teilnehmerinnen des Workshops waren sich einig, dass es analytisch sinnvoll sei, von Frauenbewegungen im Plural zu sprechen, da Unterschiede in den Identitätspolitiken und ideologischen Selbstverortungen (von radikal feministisch bis konservativ) sowie die regionalen Bezüge in der Türkei (Zentrum, Südosten, Südwesten, Nordosten) eine zentrale Rolle spielen, wenn es um die Konzentration auf bestimmte Themen (etwa Umwelt, Stärkung ökonomischer Unabhängigkeit von Frauen, ethnische Identität und Selbstbestimmung) und die Umsetzung bestimmter Aktionsformen (zum Beispiel öffentliche Protestaktionen oder ´Salon-Diskussionen‘) geht.
Zusammenarbeit jenseits trennender Standpunkte
Jenseits ideologischer Unterschiede zwischen verschiedenen Frauenbewegungen sind allerdings geschlechtliche Gewalt, Körperpolitiken, ‚Kinderbräute‘, Frauen-Menschenrechte, Bildung und Beschäftigung sowie politische Partizipation von Frauen zentrale gemeinsame Themen. So werden zum Beispiel beim Internationalen Frauentag am 8. März oder für die Einforderung der Umsetzung internationaler Standards wie der UN-Frauenrechtskonvention UN-CEDAW (The Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) temporäre Bündnisse unter den verschiedenen Frauenbewegungen geschlossen.
Insbesondere die Teilnehmerinnen aus der Türkei betonten, dass sie inhaltlich wie mental gestärkt aus dem Austausch in ihre Arbeit als Frauen- und Genderforscherinnen und Aktivistinnen in der Türkei zurückkehren werden. Die Teilnehmerinnen aus Deutschland waren beeindruckt von der Dynamik und Vielfalt frauen- und geschlechterpolitisch aktiver NGOs in der Türkei und dem kritisch konstruktiven Austausch untereinander.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften
Forschungsprojekt „Frauenbewegungen im innertürkischen Vergleich“
Prof.Dr.Yasemin Karakaşoğlu
Tel.: 0421 218 60040
E-Mail: karakasogluprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.blickwechsel-tuerkei.de