Nr. 313 / 17. November 2015 SC
Die wissenschaftliche Analyse der Pflege zu Hause ist Schwerpunktthema des BARMER GEK-Pflegereports 2015, der heute in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt wurde. Dazu wurden insgesamt 1.850 Versicherte befragt. Der Pflegereport ist bereits zum achten Mal von einer Arbeitsgruppe des Forschungszentrums Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM, zuvor: Zentrum für Sozialpolitik) der Universität Bremen unter Leitung von Professor Heinz Rothgang erstellt worden. Neben dem Schwerpunktthema untersucht das Autorenteam – neben Professor Rothgang sind das Thomas Kalwitzki, Dr. Rolf Müller, Rebecca Runte und Dr. Rainer Unger – darin zusätzlich zentrale Entwicklungen in der Pflege. Wesentliche Datengrundlagen sind die Pflegestatistik, die rund 2,6 Millionen Pflegebedürftige ausweist, das sozio-ökonomische Panel und die Routinedaten der BARMER GEK, die rund zehn Prozent der Bevölkerung abbilden.
Die Hälfte der Pflegebedürftigen wohnt in nicht altengerechten Wohnungen – dennoch werden Versicherungsleistungen zum Wohnungsumbau kaum genutzt
Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege wohnt in nicht altengerechten Wohnungen. Dies lässt erwarten, dass die Zuschüsse der Pflegeversicherung von inzwischen bis zu 4.000 Euro für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, die die Pflege in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen oder erleichtern sollen, intensiv genutzt werden. Dies umso mehr als insgesamt mehr als 97 Prozent der befragten Versicherten, die einen solchen Zuschuss in Anspruch genommen haben, die Leistung für sehr hilfreich halten. Tatsächlich nutzen pro Jahr aber nur rund 3,5 Prozent der Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege (= 65.000 Personen) diese Möglichkeit. Die sechs am häufigsten genutzten Leistungen waren in der Reihenfolge: Dusche, Treppenlift, Handlauf, WC, Haltegriff, Rampe.
Hauptsächlich zwei Gründe sind für die geringe Nutzung des Zuschusses verantwortlich. Zum einen mussten 72 Prozent der Nutzer Zuzahlungen zu den Wohnungsumbauten entrichten, die sicherlich eine abschreckende Wirkung hatten. Durch die Anhebung des Zuschusses von 2.557 Euro auf 4.000 Euro zum 1. Januar 2015 hat sich dieser Anteil verringert. Hätte die neue Obergrenze schon 2014 gegolten, läge der Anteil der Nutzer mit Zuzahlung bei nur noch 47 Prozent. Zum anderen gelingt es den zuständigen Stellen nicht ausreichend, den Leistungsanspruch zu kommunizieren: Nur die Hälfte der Nutzer hat die Information über diesen Anspruch von Kasse, Medizinischem Dienst oder Pflegestützpunkt erhalten. Knapp ein Drittel derer, die keinen Zuschuss beantragt haben, gaben an, nicht zu wissen, dass es derartige Versicherungsleistungen gibt. Fast die Hälfte der Befragten, die auf eigene Rechnung Umbaumaßnahmen finanziert haben, wussten nicht, dass es Zuschüsse der Pflegeversicherung für Wohnungsumbauten gibt. Hier bestehen noch unübersehbare Informationslücken.
Pflegestärkungsgesetz II – eine sehr großzügige Reform
Das vergangene Woche im Bundestag beschlossene Pflegestärkungsgesetz II enthält als zentrale Neuerung den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, dessen Einführung schon seit Jahren gefordert wird. Die Umsetzung erweist sich dabei in mehrfacher Hinsicht als unerwartet großzügig: Erstens wurde die Bewertungssystematik des Neuen Begutachtungsassessment gegenüber den Empfehlungen des Expertenbeirats mehrfach so verändert, dass mehr Personen als pflegebedürftig gelten und dabei gleichzeitig mehr Personen in höhere Pflegegrade gelangen. Zweitens wurde auch für die Überleitung der bereits anerkannten Pflegebedürftigen von Pflegestufen in Pflegegrade von den drei Vorschlägen des Expertenbeirates wiederum der großzügigste gewählt. Drittens wurden die Leistungshöhen für die neuen Pflegegrade so festgelegt, dass die im (Pflegeneuausrichtungsgesetz) PNG ausdrücklich als Übergangsleistungen charakterisierten Leistungen nunmehr dauerhaft gewährt werden – und das nicht nur für die Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, sondern für alle Pflegebedürftigen.
Schließlich ist ein umfassender Bestandsschutz vorgesehen. Im Ergebnis werden im ambulanten Bereich zum Umstellungszeitpunkt mehr als 95 Prozent der dann Leistung Beziehenden besser gestellt und niemand schlechter. Auch bei langfristiger Betrachtung gibt es nur wenige Personen, die sich dann im neuen System schlechter stellen werden als im alten.
Anzahl der Pflegebedürftigen steigt stärker als bisher angenommen, die Pflege wird „männlicher“ und der Anteil hochaltriger Pflegebedürftiger steigt
Auf Basis des Zensus von 2011 und der – neuen – 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes steigt die Anzahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2060 (2055) auf 4,52 Mio. (4,64 Mio.) und damit um zusätzliche 221.000 (164.000) Pflegebedürftige gegenüber früheren Projektionen. Die Pflege wird dabei insgesamt „männlicher“, da bis zum Jahr 2060 von zusätzlichen 176.000 pflegebedürftigen Männern, aber „nur“ von zusätzlichen 45.000 pflegebedürftigen Frauen auszugehen ist. Weiterhin ist von einer drastischen Alterung der Pflegebedürftigen auszugehen, die etwa ab dem Jahr 2040 einsetzt. Waren im Jahr 2015 rund 30 Prozent aller pflegebedürftigen Männer 85 Jahre und älter, so erhöht sich deren Anteil bis zum Jahr 2060 auf knapp 60 Prozent. Auch bei den Frauen zeigt sich eine deutliche Zunahme der Hochaltrigkeit. Während der Anteil der Frauen im Alter 85 und darüber im Jahr 2015 bei etwa 50 Prozent lag, erhöht sich dieser Anteil bis zum Jahr 2060 noch weiter auf dann knapp 70 Prozent. In Zukunft wird somit zunehmend die Pflege hoch betagter Menschen und adäquater Versorgungsstrukturen im Vordergrund stehen.
Den Pflegereport und die Mappe zum Pressegespräch finden Sie am Ende dieser Pressemitteilung.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
SOICIUM (Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik)
Dr. Rainer Unger
Tel.: 0421 218 58553
E-Mail: Rainer.Ungerprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.zes.uni-bremen.de