Nr. 238 / 11. August 2011 SC
Die Folgen der globalen Finanzkrise für Afrika waren gravierend. Dennoch konnte Afrika die Folgen besser bewältigen als zunächst befürchtet. Das ist eine wichtige Aussage im jetzt vorgelegten neuen Band des African Development Perspectives Yearbook für 2010/2011. Es wird von der Forschungsgruppe Afrikanische Entwicklungsperspektiven herausgegeben, die der Afrikaexperte Professor Karl Wohlmuth aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft von der Universität Bremen wissenschaftlich koordiniert. In der Publikation mit dem Titel „Afrika und die Globale Finanzkrise – Auswirkungen auf die ökonomischen Reformprozesse“ werden die Folgen der globalen Finanzkrise von 2008/2009 für den afrikanischen Kontinent untersucht. Zudem werden wichtige Schlussfolgerungen für die weitere Reformpolitik in Afrika gezogen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studie bringen wichtige Einsichten für die internationale Entwicklungspolitik:
Die Folgen der globalen Finanzkrise für Afrika waren gravierend, da der internationale Handel, die Entwicklungshilfezahlungen, die ausländischen Direktinvestitionen und andere Kapitalimporte, vor allem aber auch die Gastarbeiterüberweisungen aus der Diaspora nach Afrika einbrachen. Betroffen waren aber auch die Bildungs- und Gesundheitsausgaben der privaten Haushalte und der öffentlichen Hand sowie die Programme zur Armutsbekämpfung und zum Umweltschutz. Damit wurde langfristiger Schaden angerichtet.
Auswirkungen der Finanzkrise weniger schlimm als erwartet
Dennoch konnte Afrika die Folgen der globalen Finanzkrise besser bewältigen als zunächst befürchtet. Das hohe Wirtschaftswachstum und die engagierten Wirtschaftsreformen der vergangenen Dekade haben die Voraussetzungen dafür geschaffen. Die Wirtschaftsreformen seit dem Jahr 2000 in zahlreichen Ländern Afrikas haben zu mehr Wachstum und zu höheren Staatseinnahmen geführt. Zudem konnte Afrika im internationalen Handel neue Partner in Asien und Lateinamerika gewinnen. Die Verringerung der Budget- und Leistungsbilanzdefizite und die institutionellen Reformen haben bewirkt, dass die globale Finanzkrise die afrikanischen Wirtschaften in einem besseren Zustand getroffen hat. Daher konnten mehrere afrikanische Volkswirtschaften, auch die Republik Südafrika und die Föderation Nigeria, in der Krise sogar einen beachtlichen fiskalischen Spielraum für eine antizyklische öffentliche Staatsausgaben- und Steuerpolitik nutzen. Neben den nationalen Regierungen haben afrikanische Regionalorganisationen, wie die African Development Bank und die Organisation der afrikanischen Finanzminister, erstmals ein umfassendes Stimulierungsprogramm für den Kontinent und für die von der Krise betroffenen Länder vereinbart. Zudem wurde ein umfassendes Reformpaket mit Forderungen zur Reform der internationalen Finanzierung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und an die Weltbank gerichtet.
Regionale Wirtschaftsintegration federt Folgen der Finanzkrise ab
Die deutlichen Fortschritte bei der regionalen Wirtschaftsintegration in West-, Süd- und Ostafrika haben ebenfalls geholfen, die Folgen der globalen Finanzkrise für Afrika abzumildern, denn der zunehmende Austausch von Gütern und Dienstleistungen und die Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften reduzieren die Verwundbarkeit der afrikanischen Volkswirtschaften gegenüber globalen Änderungen und Erschütterungen. So konnte sich insbesondere Ostafrika (East African Community) von den negativen Folgen der globalen Finanzkrise zumindest teilweise abkoppeln. Auch die kontinentalen Programme zur Wirtschaftsstärkung, initiiert durch NEPAD (New Partnership for Africa‘s Development), waren durchaus hilfreich. Durch den APRM (African Peer Review Mechanism)-Prozess zur gegenseitigen Überprüfung der Wirtschaftspolitik afrikanischer Länder konnten auch einige innovative Erfolgsmodelle der Wirtschaftsreformpolitik von Land zu Land transferiert werden. Durch das CAADP (Comprehensive Africa Agricultural Development Programme) konnten zudem die Grundlagen für ein landwirtschaftszentriertes und agro-industriell ausgerichtetes Wachstumsmodell gelegt werden. All dies hat zu einer deutlichen Aufbruch-Stimmung in Afrika beigetragen und ermöglicht es nun auch, in wichtigen Fragen der Reform- und Wirtschaftspolitik eine gemeinsame Position gegenüber den internationalen Geberorganisationen zu finden. In der Studie wird aber auch dokumentiert, dass weitere Schritte in dieser Richtung notwendig sind und auch vorgesehen sind.
Mehr Aufmerksamkeit für landwirtschaftliche Produktion erforderlich
Die Studie zeigt auch, dass die Vernetzung der Finanzmärkte Afrikas mit den Weltfinanzmärkten deutlich zugenommen hat und dass von daher in den nächsten Jahren schnelle und tiefgreifende Reformen der Finanzsektoren, der Währungssysteme und der Institutionen zur Überwachung von Banken und Finanzinstituten in Afrika erforderlich werden. Dies betrifft insbesondere die Gruppe der SANE (Südafrika, Algerien, Nigeria, Egypt)-Länder. Deutlich wurde aber auch, dass die zyklischen Preisentwicklungen bei Lebensmitteln, Rohöl und Ölprodukten, agrarischen und mineralischen Rohstoffen und bei Finanzprodukten ein neues Makromanagement in Afrika erfordern. Auch von daher sind die afrikanischen Länder immer stärker mit den Weltmärkten vernetzt. Die trendmäßig stark ansteigenden Lebensmittelpreise (auch schon vor der globalen Finanzkrise) erzwingen zudem noch schnellere Fortschritte bei der landwirtschaftlichen und agro-industriellen Entwicklung in Afrika, um die hohen Lebensmittelimporte nach Afrika reduzieren zu können. Die wachsenden Lebensmittelimporte und die unbefriedigende Lage der agrarischen und agro-industriellen Produktion in Afrika verdienen daher besondere Aufmerksamkeit im Makro- und im Sektor-Management. Eine noch schnellere Neuausrichtung der Landwirtschafts- und Industriepolitik ist daher angesagt. Nur so kann Afrika von den zyklischen und trendmäßigen Preisveränderungen bei Lebensmitteln unabhängiger werden.
Über die Forschungsgruppe Afrikanische Entwicklungsperspektiven
Die Forschungsgruppe Afrikanische Entwicklungsperspektiven wurde 1989 von Professor Wohlmuth am Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management (IWIM) der Universität Bremen gegründet. Professor Wohlmuth ist der wissenschaftliche Koordinator der Forschungsgruppe und einer der Herausgeber der neuen Ausgabe des Jahrbuchs. An diesem Band haben mehrere Mitglieder der Forschungsgruppe aktiv mitgewirkt: Professor Hans-Heinrich Bass (Professor für Volkswirtschaft und internationale Ökonomie an der Hochschule Bremen) als Tagungsleiter der Konferenz zur Diskussion der Entwürfe für den Band; Dr. Tobias Knedlik (Forschungsmitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle) als Managing Editor seit dem Band 15 des Jahrbuchs; Professor Robert Kappel (Präsident des German Institute of Global and Area Studies GIGA in Hamburg) als Gründungsmitglied der Forschungsgruppe und als Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der Jahrbuch-Tagung; Professor Reuben A. Alabi (Professor für Agrarökonomie an der Ambrose Alli University, Ekpoma, Nigeria und Alexander von Humboldt Research Fellow am IWIM) als Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der Jahrbuch-Tagung und als Autor und Mitherausgeber des Bandes; Dr. Osmund O. Uzor (Assoziierter Forscher am IWIM) als Autor, Mitherausgeber und Koordinator der afrikanischen Beiträge); Dr. Achim Gutowski (RKW Bremen) als Book Review Editor; und Dr. Joy Alemazung (Senior Fellow, African Good Governance Network und Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen) als Organisator der Jahrbuch-Tagung und als Mitherausgeber des Bandes.
Insgesamt 22 Autorinnen und Autoren haben an dem Band mitgewirkt, darunter Wissenschaftler aus Nigeria, Südafrika, Botswana, Sambia und Kamerun. Der Teil 1 des Bandes umfasst Analysen zu den Ursachen und Folgen der globalen Finanzkrise mit Bezug zu Afrika und zu den Strategien der afrikanischen Länder zur Bewältigung der Krise und zur Fortführung der Reformpolitik nach der Krise. Der Teil 2 des Bandes beinhaltet Studien zur Lage einzelner Länder (Nigeria als Schwerpunktland, Botswana, Kamerun) bzw. der westafrikanischen Währungsunion (WAMU/West African Monetary Union). Im Teil 3 wird wichtige Literatur zur globalen Finanzkrise mit Bezug zu Afrika rezensiert.
Für die für 2012 geplante Ausgabe des Jahrbuchs ist das Thema „Gestaltung der makroökonomischen Politik in Afrika“ vorgesehen. Es geht um die komplexen institutionellen Anforderungen an eine neue Wirtschaftspolitik in Afrika im Spannungsfeld von Globalisierung, Regionalisierung und Autonomie. Das African Development Perspectives Yearbook hat sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Afrikaforschung durch die Kombination von Schwerpunktthemen und Länderstudien und durch die starke Einbeziehung afrikanischer Ökonomen und Ökonominnen als Herausgeber und Autoren international erfolgreich positioniert.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
Professor Dr. Karl Wohlmuth
Research Group on African Development Perspectives:
E-Mail: wohlmuthprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
Tel. 0421 218-66517
www.iwim.uni-bremen.de/africa/about.htm
Beleg und Bezug der Publikationen:
Reuben Adeolu Alabi, Joy Alemazung, Hans H. Bass, Achim Gutowski, Robert Kappel, Tobias Knedlik, Osmund Osinachi Uzor, Karl Wohlmuth (Eds.), African Development Perspectives Yearbook 2010/11, Africa And The Global Financial Crisis – Impact On Economic Reform Processes, Volume 15, Berlin. LIT Verlag Dr. W. Hopf, 2011, xvii/429/iv pages, ISBN: 978-3-643-10648-3