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Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen erstellt Pflegereport

Forschungsteam um Professor Heinz Rothgang untersuchte im Auftrag der BARMER GEK Pflegebedürftigkeit und Rehabilitation

Nr. 407 / 18. Dezember 2013 KG

„Rehabilitation vor Pflegebedürftigkeit“ ist einer der zentralen Grundsätze seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1994. Über das Ausmaß der Rehabilitation vor und bei Pflegebedürftigkeit sowie ihre Wirksamkeit ist dennoch wenig bekannt. Dem versucht der Pflegereport der BARMER GEK abzuhelfen, der in diesem Jahr zum sechsten Mal von einer Arbeitsgruppe des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen unter Leitung von Professor Heinz Rothgang erarbeitet wurde. Die Autoren des Pflegereports untersuchen jährlich das Leistungsgeschehen in der Pflege und diskutieren zentrale Weiterentwicklungen in der Pflegeversicherung. Wesentliche Datengrundlagen sind die Pflegestatistik als Vollerhebung der rund 2,5 Millionen Pflegebedürftigen und die Routinedaten der BARMER GEK, die rund 10 Prozent der Bevölkerung abbilden. Er wird am heutigen Mittwoch auf der Bundespressekonferenz vorgestellt.

Kurzdarstellung ausgewählter Ergebnisse des Reports:


Rehabilitation vor Pflege funktioniert – Rehabilitation bei Pflege weniger

Vor Feststellung von Pflegebedürftigkeit findet in erhöhtem Ausmaß Rehabilitation statt. Bei rund 15 Prozent der Pflegebedürftigen im Alter von über 65 Jahren wird im Jahr vor dem Pflegeeintritt mindestens eine medizinische Rehabilitation durchgeführt. Es werden also erkennbare Anstrengungen unternommen, die Pflegebedürftigkeit zu verhindern, hat das Forschungsteam des Pflegereports um Prof. Dr. Heinz Rothgang festgestellt. Im Rahmen der Pflegebegutachtung werden dagegen nur wenige Rehabilitationsempfehlungen ausgesprochen – teils aufgrund von Schwächen im Verfahren. Hier sind Anpassungen notwendig, aber auch bereits angestoßen. Im Anschluss an den Eintritt in die Pflegebedürftigkeit sinkt dann die Quote der medizinischen Rehabilitationen auf rund sieben Prozent im nachfolgenden Jahr. Dabei liegt diese Quote deutlich über der Reha-Empfehlungsquote bei der Begutachtung zur Pflegebedürftigkeit. Dies zeigt, dass Rehabilitation nicht nur aufgrund dieser Begutachtung erfolgt, sondern auch in den nachfolgenden Monaten Anträge gestellt werden. Im Vergleich zu den nicht pflegebedürftigen Personen erhalten pflegebedürftige Personen dennoch nur halb so viele medizinische Rehabilitationen.

Ausreichendes Leistungsniveau muss langfristig gesichert werden
Die Pflegeversicherung ist – anders als die Krankenversicherung – ein Teilleistungssystem. Um der resultierenden Absicherungslücke entgegenzutreten, wurde im Pflege-Neuausrichtungsgesetz eine Zulagenförderung für ergänzende Pflegeversicherungen („Pflege-Bahr“) eingeführt. Bis zum Oktober 2013 wurden allerdings nur rund 330.000 Versicherungsverträge abgeschlossen. Damit blieb die Zahl der Vertragsabschlüsse bisher weit hinter den – bereits bescheidenen – Erwartungen der Bundesregierung (1,5 Millionen Versicherungsverträge im Jahr 2013) zurück. Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass mehr als eine kleine Bevölkerungsminderheit entsprechende Verträge abschließt. Den Leistungsbetrag sinnvoll zu bestimmen, ist unmöglich, da unbekannt ist, wie sich die Pflegekosten und die Leistungen der obligatorischen Pflegeversicherung entwickeln. Eine substantielle Absicherung des Pflegerisikos ist daher nur in einem umlagefinanzierten Versicherungssystem möglich, bei dem die Leistungen angemessen dynamisiert werden.

Privatversicherung profitiert von vielfacher Risikoselektion
Wie die Berechnungen im Pflegereport zeigen, profitiert die Private Pflegepflichtversicherung von der mehrfachen Risikoselektion zu Lasten der Sozialversicherung: Die Privatversicherten haben nicht nur höhere Einkommen, sondern haben auch in jeder Altersstufe geringere Anteile an Pflegebedürftigen. Zudem sind Männer seltener pflegebedürftig als Frauen, aber überrepräsentiert in der Privaten Pflegeversicherung. Schließlich ist auch die Altersstruktur der Versicherten deutlich günstiger. Im Ergebnis liegen die Leistungsausgaben pro Versichertem in der Sozialen Pflegeversicherung daher – bei gleichem Leistungsanspruch und gleichen Begutachtungskriterien – viermal so hoch wie in der Privaten Pflegepflichtversicherung. Die Sozialversicherten sind somit benachteiligt. Ein Ausgleich der ungleich verteilten Risiken wäre am leichtesten in Form einer integrierten Pflegeversicherung zu realisieren, die die gesamte Bevölkerung umfasst. Sollte sich dies nicht realisieren lassen, weil der politische Wille dazu fehlt, könnten die Folgen der Risikoselektion durch Schaffung eines Finanzausgleichs zwischen Sozialer Pflegeversicherung und Privater Pflegepflichtversicherung bewältigt werden.

Eigenanteil bei der Finanzierung von Pflegeleistungen steigt
Bei den Leistungen der Pflegeversicherung handelt es sich um pauschalierte bzw. gedeckelte Leistungen, die nicht bedarfsdeckend sind. Aufgrund der bis 2007 fehlenden und seitdem unzureichenden Leistungsdynamisierung steigen die Eigenanteile an den Pflegekosten, die vom Pflegebedürftigen selbst zu tragen sind, weiter an. In der stationären Pflege übersteigt inzwischen der insgesamt aufzubringende Eigenanteil die Pflegeversicherungsleistungen in allen Pflegestufen deutlich.

Weitere Informationen:
Universität Bremen
Zentrum für Sozialpolitik (ZeS)
Dr. Rolf Müller
Tel.: 0421 218 58623
E-Mail: rmintprotect me ?!zes.uni-bremenprotect me ?!.de
www.zes.uni-bremen.de