Nr. 219 / 9. November 2017 KG
Heute, 9. November 2017, wurde im Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz der diesjährige BARMER Pflegereport vorgestellt. Im Mittelpunkt standen junge Pflegebedürftige im Alter von 0 bis 59 Jahren. Eine Arbeitsgruppe des SOCIUM der Universität Bremen hat unter Leitung von Professor Heinz Rothgang die wissenschaftlichen Analysen vorgenommen. Beteiligt waren Dr. Rolf Müller, Rebecca Runte und Dr. Rainer Unger. Als wesentliche Datengrundlagen dienten die Pflegestatistik 2015, das sozio-ökonomische Panel – eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12.000 Privathaushalten in Deutschland – Daten der BARMER sowie eine eigens für das Schwerpunktthema durchgeführte Versichertenbefragung. Der Report kommt zu folgenden Ergebnissen:
Pflegebedürftigkeit auch unter jungen Menschen sehr häufig
Langzeitpflege betrifft nicht nur alte Menschen. Von den 2,86 Millionen in der Pflegestatistik 2015 ausgewiesenen Pflegebedürftigen mit Pflegestufe I bis III waren 386.000 und damit 13,5 Prozent jünger als 60 Jahre. Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von älteren Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Während der weitaus größere Teil der Pflegebedürftigen weiblich ist, verhält es sich bei den jüngeren genau entgegengesetzt. So gab es im Jahr 2015 „nur“ 175.000 weibliche, dafür aber 211.000 männliche Pflegebedürftige bis 59 Jahre.
Andere Erkrankungen und Behinderungen
Mit der Pflegebedürftigkeit älterer Menschen werden Erkrankungen wie Demenz und Schlaganfall in Verbindung gebracht; bei jungen Pflegebedürftigen findet sich hingegen eine Reihe anderer Erkrankungen und Störungen. Von den jungen Pflegebedürftigen haben 35 Prozent Lähmungen, 32 Prozent Intelligenzminderungen, 24 Prozent Epilepsie, 22 Prozent Entwicklungsstörungen und zehn Prozent das Down-Syndrom. Das geringere Alter in Verbindung mit diesem Erkrankungsspektrum führt zu einer höheren Überlebensrate.
Wunsch nach selbstbestimmtem Wohnen häufig unerfüllt
Für das Schwerpunktthema des Reports führte das Bremer Wissenschaftsteam eine Befragung von BARMER-Versicherten im Alter bis zu 59 Jahren durch, bei deren Auswertung insgesamt 1.747 vollständig ausgefüllte Fragebögen berücksichtigt werden konnten. Danach wünschen sich junge Pflegebedürftige häufig ein Leben in Wohngruppen, in betreuten Wohngemeinschaften, in einer eigenen Wohnung oder in Behinderteneinrichtungen. An Versorgungsangeboten mangelt es aber. Am höchsten ist die Zufriedenheit mit der eigenen Wohnsituation bei den Alleinlebenden (93 Prozent) und den in Partnerschaft Lebenden (91 Prozent); am geringsten ist sie bei den Bewohnern von Pflegeheimen (63 Prozent). Der Wunsch, die gegenwärtige Wohnsituation zu ändern, besteht vielfach. So wünschen sich rund 35 Prozent der Zehn- bis 29-Jährigen in Wohngruppen oder betreute Wohngemeinschaften zu ziehen. Rund die Hälfte findet aber kein passendes Angebot.
Versorgungslücken bei Kurzzeitpflege und Tagespflege
Ein Mangel an alters- oder erkrankungsgerechten Versorgungsangeboten wird auch bei Kurzzeitpflege oder Tagespflege festgestellt. Der in der Versichertenbefragung geäußerte Wunsch nach Kurzzeitpflege und Tagespflege ist etwa doppelt so groß wie die angegebene derzeitige Nutzung. Im Resultat wird damit ein zusätzlicher Bedarf von 3.400 Kurzzeitpflegplätzen und 4.000 Tagespflegeplätzen deutlich, so die Wissenschaftler der Universität Bremen. Die Kurzzeitpflege und Tagespflege wird in den bestehenden Formen überwiegend deshalb nicht genutzt, weil sie als nicht altersgerecht und nicht angepasst an die eigene Erkrankung empfunden wird.
Behinderteneinrichtungen und Wohngruppen besser bewertet
Bei der Bewertung der Versorgungsqualität durch junge Pflegebedürftige schnitten Pflegeheime und häusliche Versorgungssettings mit Pflegediensten schlechter ab als die Versorgung im Behindertenheim oder in den Wohngruppen. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Versorgung der jungen Pflegebedürftigen in Teilen am Bedarf, dem Wunsch nach mehr Versorgung in Wohngruppen und im Behindertenwohnheim bei entsprechender Qualität, vorbei geht.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
SOCIUM (Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik)
Prof.Dr. Heinz Rothgang
Tel.: 0421 218 58557
E-Mail: rothgangprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.socium.uni-bremen.de