Dafür rekonstruierten die Forschenden den Temperatur- und Salzgehalt im subpolaren Nordatlantik. Ihre Ergebnisse sind jetzt in Nature Communications erschienen.
Extreme Kälteereignisse während der letzten Eiszeit, sogenannte Heinrich-Ereignisse im Nordatlantik, sind ein gutes Beispiel dafür, wie lokale Prozesse das globale Klima veränderten. Während in der Forschung gut dokumentiert ist, wie sich die Heinrich-Ereignisse auf die globale eiszeitliche Umwelt ausgewirkt haben, bleibt die Ursache bisher ungeklärt.
Heinrich-Ereignisse, oder genauer Heinrich-Lagen, sind wiederkehrende, auffällige, meist zehn bis 15 Zentimeter dicke Schichten mit sehr groben Gesteinskomponenten, die die feinkörnigen, ozeanischen Ablagerungen des Nordatlantiks unterbrechen. In der 1980er-Jahren von dem Geologen Hartmut Heinrich entdeckt und erstmalig beschrieben, wurden sie später durch den US-amerikanischen Geochemiker Wally Broecker als Heinrich-Lagen bekannt gemacht – ein stehender Begriff in der Paläozeanographie.
Die Heinrich-Lagen wurden im gesamten Nordatlantik nachgewiesen, vor Island bis weit in den Süden entlang der Linie New York bis Nordafrika. Solch grober Gesteinsschutt konnte nur durch Eisberge so weit vom Ursprungsort in der Hudson Bay transportiert worden sein.
„Die eigentliche Bedeutung dieser Heinrich-Ereignisse liegt aber in der Tatsache, dass mit den Abschmelzphasen und Eisbergen große Mengen Frischwasser in den Nordatlantik verbracht wurden“, sagt Lars Max, der als Paläozeanograph am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen gearbeitet hat und Erstautor der Studie ist.
Darin ordnet er und seine Co-Autor:innen die Zusammenhänge von Heinrich-Lagen, Frischwasserzufuhr und Veränderungen der nordatlantischen Umwälzzirkulation neu. Eine so genannte dünne Frischwasserlinse, die Millionen von Kubikkilometer Volumen während der Heinrich-Ereignisse bedeckt hat, gilt bislang als Ursache dafür, dass die nordatlantische Umwälzzirkulation (Atlantic Meridionial Overturning Circulation – kurz AMOC) gestört wurde, beziehungsweise ganz zum Stillstand kam, verbunden mit teils tiefgreifenden regionalen und globalen klimatischen Folgeerscheinungen. Die AMOC ist Teil des globalen Förderbands von Ozeanströmungen, die durch Temperatur und Salzgehalt angetrieben wird und eine wesentliche Rolle im Klimasystem spielt.
„Ursprünglich wurden interne Instabilitäten des Eisschildes für dessen Zerfall verantwortlich gemacht. Unsere Studie liefert dagegen Belege, dass Veränderungen im Ozean destabilisierend auf die Eisschilde des nordamerikanischen Kontinents wirkten“, so Lars Max. Die Untersuchung eines Sedimentkernes, der am Ausgang der Labradorsee im Nordatlantik mit dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN gewonnen wurde, liefere den ersten soliden Beweis für eine wiederholte, massive Ansammlung von Ozeanwärme in tieferen Schichten des subpolaren Nordatlantik. Sie hat das Schmelzen der polaren Eisschelfe von unten her ermöglicht.
„Tatsächlich können wir mit spurenelement- und isotopenanalytischen Methoden Temperatur- und Salzgehaltserhöhungen in etwa 150 Meter Wassertiefe rekonstruieren, die zeitlich gesehen den Heinrich-Ereignissen stets systematisch vorauseilen, und mit Zeiten einer bereits geschwächten atlantischen Umwälzzirkulation korrespondieren“, erklärt Dirk Nürnberg vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der die Laboranalytik verantwortet.
Das spreche dafür, dass Ozeanzirkulationsänderungen diese Eisschildinstabilitäten ausgelöst haben. Eine kontinuierliche Erwärmung des Ozeans in dieser Wassertiefe ist kritisch für die Destabilisierung der Eisschelfe von unten, und führte letztendlich zu einem beschleunigten Eisbergabfluss – den Heinrich-Ereignissen.
Die Erkenntnisse zu den Prozessen aus der Erdgeschichte helfen auch, Veränderungen besser abschätzen zu können, die im Zuge der Klimaerwärmung zu erwarten sein könnten. „Sollte sich die Umwälzzirkulation in Zukunft aufgrund der menschgemachten Klimaveränderung abschwächen“, gibt Cristiano Chiessi von der Universität São Paulo in Brasilien zu bedenken, „würden wir eine beschleunigte Erwärmung des tieferen subpolaren Nordatlantiks erwarten, die sich negativ sowohl auf die Stabilität der heutigen arktischen Gletscher als auch den Süßwasserhaushalt des Nordatlantiks auswirken könnte.“
Der aktuelle Sachstandsbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC, 2021) kommt zu dem Schluss, dass es mit einer fortschreitenden Klimaerwärmung zu einer Abschwächung der Umwälzzirkulation im Atlantischen Ozean innerhalb dieses Jahrhunderts kommen könnte. Eine stärkere Erwärmung des tieferen subpolaren Nordatlantiks und ein verstärktes Abschmelzen arktischer Gletschermassen könnten als mögliche Folgen den globalen Anstieg des Meeresspiegels zusätzlich beschleunigen. Es sei jedoch zu erwarten, so Lars Max, dass die Stabilität des Antarktischen Eisschildes eine weit erheblichere Rolle für den Verlauf des globalen Meeresspiegelanstieges spielen wird. Weitere Studien seien dringend erforderlich, um besser abschätzen zu können, inwieweit sich eine künftige Verlangsamung der Umwälzzirkulation und eine mögliche Erwärmung des tieferen Ozeans auf die zukünftige Stabilität des antarktischen Eisschildes auswirken könnte.
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