Das Seminar "Krieg und Vertreibung im Südkaukasus" traf sich am 17. und 18. Januar mit Dr. Maja Panjikidze, Georgische Außenministerin zwischen 2012 und 2014 und ehemalige Botschafterin Georgiens in Deutschland.
In Vorbereitung auf den Besuch haben sich die Studierenden ein Semester lang mit der Region Südkaukasus beschäftigt und sowohl die Vergangenheit des konfliktreichen Gebietes, als auch mögliche Zukunftsszenarien betrachtet. In dem zweitägigen Gespräch mit den Studierenden diskutierte Maja Panjikidze über internationalen Bemühungen zur Konfliktlösung, die Rolle Russlands im Konflikt um Georgien, und europäische und euro-atlantischen Ambitionen Georgiens trotz der Konflikte.
Die georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien hatten sich nach dem Fünftagekrieg (www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/166356/kaukasuskrieg-08-08-2013) zwischen Russland und Georgien unabhängig erklärt und sind es seit dem de facto. Hintergrundinformationen über den Konflikt finden sich hier: (www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54599/georgien)
Ein Bericht von Sonja Bakes
Während des Fünftagekrieges ist Maja Panjikidze Botschafterin Georgiens in den Niederlanden. Nachts um eins wird sie in die Botschaft einberufen, sie müsse nun rund um die Uhr in der Botschaft sein, die Situation in Südossetien drohe zu eskalieren. Panjikidze ist eine ganze Woche lang damit beschäftigt, stündliche Updates aus Georgien weiterzuverbreiten, um internationale Hilfe, vor allem der EU und NATO, zu mobilisieren. Sie reicht außerdem Beschwerde beim internationalen Gerichtshof ein. "Ich bin damit die erste und einzige Person in der Geschichte, die bisher gegen Russland geklagt hat – und darauf bin ich stolz", berichtet sie. Die Klage bleibt allerdings erfolglos.
Zur Frage nach den Ursprüngen des Fünftagekrieges verweist Panjikidze auf die geschichtlichen Zusammenhänge. In den letzten 200 Jahren sei Georgien bereits von Russland und später der Sowjetunion besetzt worden. Auf die Frage nach der Verantwortung für den Ausbruch des militärischen Konfliktes hat sie eine klare Antwort: "Es ist gar keine Frage, dass Russland den Krieg angefangen hat, aber die militärischen Handlungen – da kann man Saakashwili vorwerfen, dass er einen Fehler gemacht hat und in die russische Falle getappt ist."
Keine gemeinsame Sprache
In Panjikidzes eigene Amtszeit als Außenministerin, von 2012 bis 2014, fiel vor allem die Suche nach Lösungen für den Konflikt. Keine leichte Aufgabe: allein für die Grenze zwischen Südossetien und Georgien gibt es drei verschiedene Bezeichnungen. Georgien nennt sie Okkupationslinie, Russland spricht von Staatsgrenzen, die internationale Gemeinschaft von administrativen Linien. "Wenn man so unterschiedlich auf ein und dieselbe Tatsache schaut, wie soll man da eine gemeinsame Sprache finden?" Die diplomatischen Beziehungen zu Russland wurden abgebrochen, da Russland in Zukunft zwei weitere Botschaften in Abchasien und Südossetien einrichten wollte, um deren Unabhängigkeit zu stärken. Der Dialog läuft nun über Umwege wie zwei Sondergesandte.
Wichtigste Plattform sind laut Maja Panjikidze die Genfer Gespräche, die unter anderem von der Europäischen Union eingerichtet wurden. Hier kommen die Vertreter Georgiens, Russlands, Abchasiens und Südossetiens regelmäßig zusammen. Schon ein Fortschritt sei, dass Russland hier nicht in seiner selbstgewählten Rolle als Vermittler auftreten kann, sondern selbst als Konfliktpartei behandelt wird. Doch laut Panjikidze wurden in den bisher 42 Sitzungen noch keine Fortschritte erzielt. "Es ist schon ein gutes Ergebnis, wenn wir ein nächstes Treffen vereinbaren konnten." Denn keiner möchte Zugeständnisse machen.
Konflikt in der Schublade
Panjikidze lobt die EU für ihre Unterstützung, das schnelle Eingreifen in den Fünftagekrieg und die Vermittlung von Nicolas Sarkozy, die zum Waffenstillstand beitrug. Gleichzeitig sagt sie auch: "Ich habe die EU schon oft dafür kritisiert, dass sie alle Instrumente geschaffen hat, um dem Konflikt einen Rahmen zu geben, eine Schublade, in die sie ihn stecken konnte, um zu sagen: 'Wir haben alles getan.'". Sie macht es der EU nicht zum Vorwurf, dass nichts mehr passiert. Sie wünscht sich aber neue Impulse abseits dieser Instrumente zur Konfliktregelung und bedauert, dass das Thema nicht mehr auf dem Fokus der internationalen Politik steht.
Auch andere Ansätze scheiterten. Panjikidzes Kollege, der Versöhnungsminister Paata Zakareishvili versuchte das sogenannte Okkupationsgesetz zu lockern. Seit dem Krieg ist es unter Gefängnisstrafe verboten, die Grenzen Südossetiens oder Abchasiens zu überschreiten – ein großes Hemmnis für direkten Austausch. Die Reformversuche scheiterten. "Das wird empfunden als stünde man nicht mehr für die territoriale Integrität Georgiens, als suche man eine andere Beziehung zu Russland", erklärt Panjikidze. Annäherungsversuche finden deshalb oft inoffiziell, zum Beispiel über NGOs statt. Auch seien schon zu Saakashwilis Zeiten Krankenhäuser in den Grenzgebieten gebaut worden und die Kosten für eine Behandlung für Abchasen und Osseten werden übernommen.
"Macht Georgien attraktiv"
Besonders eindrucksvoll empfand Panjikidze 2014 ein Treffen mit Egon Bahr, der den Weg zur Annäherung zwischen BRD und DDR geebnet hatte. Die Situation damals sei aber nicht vergleichbar gewesen: Die BRD und DDR hätten außer ihrer Zukunft viele Gemeinsamkeiten gehabt und seien nicht im Konflikt miteinander gewesen. Im Gegensatz zu Georgien mit Südossetien und Abchasien. Für Maja Panjikidze als Germanistin war der direkte Austausch mit Bahr dennoch aufschlussreich. Er empfahl Georgien, ein Stück nachzugeben, die separatistischen Gebiete anzuerkennen, um Zugang zu ihnen zu erhalten und zu einer Lösung zu gelangen. Das ging ihr zu weit. "Aber ein Vorschlag kam eigentlich von allen", erinnert sie sich, "Macht Georgien attraktiv für Abchasen und Südosseten. Dann kommen sie von selbst zurück." Nach dieser Begegnung war sie jedoch nur noch drei Monate im Amt.
Die Zukunft des Konflikts sieht Panjikidze, fast zehn Jahre nach dem Fünftagekrieg und 25 Jahre nach der Unabhängigkeit Georgiens, denkbar pessimistisch. Im öffentlichen Diskurs seien andere Probleme wie die Arbeitslosigkeit mittlerweile von größerer Bedeutung. Eine junge Generation, auch an Binnenflüchtlingen, wächst in Georgien heran, die Abchasien und Südossetien nie als Teil des Landes erlebt hat. "Bald, wenn nichts passiert, wird Abchasien für viele Ausland sein."