Nr. 166 / 1. Juni 2011 SC
Ekkard Brinksmeier, Professor für Fertigungsverfahren am Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen und Direktor der Hauptabteilung Fertigungstechnik der Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT), erhält ein Reinhart Koselleck-Projekt. Seine Idee zur „Entwicklung mineralölfreier Kühlschmierstoffe aus den Bestandteilen von Mikroorganismen“ sowie sein wissenschaftlicher Lebenslauf überzeugten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Nun bekommt er in den nächsten fünf Jahren 1,5 Millionen Euro, um dieses „in hohem Maß innovative und im positiven Sinn risikobehaftete Projekt“ durchzuführen.
Nach dem Informatiker Professor Rolf Drechsler ist Brinksmeier der zweite Bremer Uni-Wissenschaftler sowie der zweite Forscher im Fachgebiet Maschinenbau und Produktionstechnik überhaupt, der sich über ein Koselleck-Projekt freuen kann. Insgesamt bewilligte die DFG bislang nur 31 dieser begehrten Förderungen mit einem Gesamtvolumen von 34,2 Millionen Euro.
Die Chance, „kühne Idee“ in fünf Jahren mit viel Freiraum zu verwirklichen
Reinhart Koselleck-Projekte, benannt nach einem der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, sind eine Besonderheit in der deutschen Forschungslandschaft. Koselleck wirkte an der Universität Bielefeld, zählt zu den Begründern der modernen Sozialgeschichte, und er gilt als Querdenker. Entsprechend fördert die DFG mit diesen Projekten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „mit Mut zum Risiko“, die sich „durch einen herausragenden wissenschaftlichen Lebenslauf auszeichnen, über großes wissenschaftliches Potenzial verfügen und innovative Forschungsziele verfolgen“. Sie sollen mit wenig Aufwand für die Antragstellung „innerhalb von fünf Jahren ein besonders innovatives Projekt mit offenem Ausgang durchführen“ können. Dazu DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner: „Es geht uns um die kühne Idee und um die Person, die in der Lage ist, diese zu verwirklichen.“
„Keinerlei inhaltliche Vorgaben für die Forschungsrichtung und -ziele, kein langer, aufwendiger Antrag – es reichte eine kleine, formlose Projektskizze mit einer kurzen Beschreibung unserer Idee, die die Gutachter überzeugte.“ Brinksmeier ist begeistert, denn seiner Ansicht nach seien deutsche Forscher sonst viel zu sehr durch inhaltliche Vorgaben eingeschränkt und durch zu komplizierte formale Verfahren belastet. So könnten hoffnungsvolle Ideen oft nicht umgesetzt werden, und es werde häufig wertvolle Zeit blockiert, die besser in den Forschungslaboren genutzt werden könne.
„Mit Koselleck-Projekten läuft das alles etwas anders. Wir bekommen durch diese Förderung nun die Chance, in ein neues Gebiet vorzustoßen und unsere Idee mit großem Freiraum umzusetzen“, sagt Brinksmeier. Er und sein Team wollen mit ihren Forschungen die mineralölfreie Anwendung von Kühlschmierstoffen (KSS) ermöglichen und so einen Beitrag zur Ressourcen schonenden Metallbearbeitung leisten. Durch die komplexe Fragestellung erfordert das Vorhaben einen interdisziplinären Ansatz und die intensive Zusammenarbeit unter anderem der Fertigungstechnik und der Mikrobiologie.
Allein der jährlich hierzulande anfallende Sondermüll füllt 54 Millionen Eimer – eine Eimerkette, mit der sich Deutschland viermal umrunden lässt.
Wir alle sind an dem Verbrauch von KSS beteiligt. Ob für Auto, Fön oder Fernseher, in fast jedem Produktionsprozess ist der Einsatz von KSS erforderlich. Teilweise direkt wie bei der Fertigung der Antriebwelle für einen Motor, oder indirekt, wenn zum Beispiel das Werkzeug zur Herstellung der Kunststoffhülle eines Telefons gefertigt wird. KSS dienen zur Kühlung und Schmierung der Kontaktzone zwischen Werkzeug und Werkstück, dem Transport unter anderem der Späne sowie der Gestaltung der Oberflächen durch chemische Reaktionen. „Im Verlauf der Fertigung nahezu eines jeden Produktes ist irgendwann ein Prozess des Umformens oder Trennens wie Schleifen, Bohren und Drehen erforderlich“, erklärt IWT-Wissenschaftler Dr. rer. nat. Thomas Koch. „Das heißt, dass ein Werkstück in einem mechanischen Bearbeitungsverfahren in die gewünschte Form gebracht wird, indem das überflüssige Material zum Beispiel in Form von Spänen abgetragen wird. Bei der maschinellen Metallbearbeitung kann das in den meisten Fällen nicht oder nur schlecht ohne KSS funktionieren.“
Es gibt mehrere Arten von KSS. Im Rahmen des Koselleck-Projektes betrachten Brinksmeier und sein Team die wassermischbaren KSS. Diese Emulsionen bestehen zu 95 Prozent aus Wasser und einer fein abgestimmten Mischung von bis zu 60 chemischen Komponenten. Die Gemische werden zwar in eigenen, den Werkzeugmaschinen angeschlossenen Systemen stetig wiederaufbereitet, verlieren aber im Laufe der Zeit zum Beispiel ihre spezifischen Eigenschaften wie Korrosionsschutz oder Schaumverhalten. Daher haben KSS nur eine begrenzte Haltbarkeit.
„Jährlich werden weltweit etwa 40 Millionen Tonnen KSS umgesetzt“, sagt Koch. Mit dieser Menge ließe sich zum Beispiel der Kölner Dom gut 205 Mal füllen. „Und allein in Deutschland müssen pro Jahr rund 580.000 Tonnen KSS entsorgt werden, wobei der Anteil der wassermischbaren KSS mit zirka 540.000 Tonnen überwiegt“, ergänzt er. Fast dreimal könnte der Kölner Dom mit diesem Anteil geflutet werden, und füllte man die verbrauchten wassermischbaren KSS in handelsübliche 10-Liter-Eimer, ergäbe sich eine 15.120 Kilometer lange Kette mit rund 54 Millionen Eimern. Sie reichte viermal rund um Deutschland. Es fallen jährlich also enorme Mengen wasserlöslicher KSS als Sondermüll an. Nach den Vorstellungen der Bremer Forscher soll das künftig weniger werden.
Produkte der Mikroorganismen sollen mineralölbasierte Bestandteile ersetzen
Neben dem technischen Verschleiß durch mechanische und thermische Belastungen beeinflussen auch Wechselwirkungen durch mikrobiellen Befall die technische Qualität von KSS und führen zum Versagen der Gemische. Brinksmeier will die Haltbarkeit von KSS verlängern, indem er ihre mineralölbasierten Bestandteile durch ein regeneratives System mit bakteriellen Komponenten ersetzt. Viele Bakterienarten können genau die Stoffe produzieren, die den KSS zugesetzt werden. Sie reichern diese Produkte wie zum Beispiel Fette und Wachse in ihren Zellen an und geben sie an ihr Umfeld ab.
„Die Fähigkeiten dieser Bakterien lassen einen unschätzbaren Vorteil in zerspantechnischen Anwendungen erwarten, da die Populationen in der Lage sind, sich permanent zu regenerieren“, erklärt Brinksmeier. Ihr Einsatz könne sich sowohl auf die KSS-Produktion als auch erheblich auf die Haltbarkeit der KSS auswirken. In ihrem Vorhaben wollen die Forscher nun die Organismen mit den gewünschten Eigenschaften finden, in Versuchen deren Potenzial für die Verwendung in der Fertigungstechnik belegen und anwenden.
Sabine Nollmann
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