Radikale Liebesfilme

Programm

Streng genommen kann es keine radikalen Liebesfilme geben. Denn ein Liebesfilm ist ein Genrefilm, d.h. auf bestimmte Muster von Handlung und Szenen programmiert, wie Girl meets Boy, Blicke der ersten Annäherung, Szenen des Zweifels, und je nach Schlussstimmung Kuss vor Sonnenuntergang oder Umarmung eines/r Sterbenden. Radikal wäre ein anderer Stoff: Zwei sind sich mäßig sympathisch, aber nach 10 Jahren Ehe (und Beziehungsarbeit) lieben sie sich. Einen solchen Film gibt es nicht – oder nur als Ausnahme.

Müssten wir eine Wurzel (= radikal) der Liebe benennen, würden wir zuerst auf das Mutter-Kind-Verhältnis stoßen. Biologen halten es überhaupt für den Kern der Menschwerdung, und einiges spricht dafür, dass Liebe hier, und nicht zwischen den Geschlechtern oder zwischen Erwachsenen entsteht. Aber daraus lässt sich kaum etwas ableiten, denn man kann schließlich alles lieben – seinen Partner, die Arbeit, die Stadt in der man wohnt oder gerade nicht wohnt, und vieles mehr. Immerhin könnte man allgemein sagen, Liebe ist Hingabe. Oder genauer, wie Luhmann formuliert: Liebe ist ein Begriff dafür, dass man das, was man vom andern haben will, gerade dadurch selbst gibt. Die 13 Filme dieses Programms sind Annäherungen an ein unmögliches Genre. Sie sind insofern radikal, als sie ihre Sache im Sinne einer audiovisuellen Begriffsarbeit ernst nehmen – auch dann, wenn es Komödien sind

Winfried Pauleit und Rainer Stollman | Universität Bremen
Veranstaltungsort: CITY 46

Die Reihe läuft vom 17.10.2017 bis 30.1.2018 * Alle Filme mit Einführung!

Wilde Erdbeeren

Di. 21.11.2017, 17:30 Uhr

* mit Einführung von Rainer Stollman

„Wenn man einen Film darüber machen würde, daß man nur ganz realistisch daherkommt und plötzlich eine Tür aufmacht, und man geht in seine Kindheit hinein, und dann öffnet man eine andere Tür und kommt in die Wirklichkeit, und dann geht man um die Ecke und kommt in einen anderen Lebensabschnitt, und alles geht so weiter, lebt. Das war nämlich die Grundidee zu ‚Wilde Erdbeeren‘“ (I. Bergman). Diese Lebensreise ist eingebunden in die Reise eines alten Professors von Stockkolm nach Lund zur Entgegennahme eines Preises. Jeder Mensch ist eine Babuschka-Puppe, der Sechsjährige, der Dreißigjährige stecken noch im Siebzigjährigen. Das sog. Ich ist ein Chor von mehreren Stimmen, je nach Situation. Wie reden diese Stimmen in einem Menschen, der den Tod vor sich hat?

Smultronstället – S 1957, Regie: Ingmar Bergmann, mit Victor Sjöstrorm, Marianne Borg, 92 Min., OmU.

Ingmar Bergmann | Wilde Erdbeeren