Laudatio von PD Dr. Christiane Keim
Sehr geehrte Frau Senatorin,
sehr geehrter Herr Prof. Scholz-Reiter,
liebe Frau Niehoff,
liebe Gäste,
>right here< Wissenschaftlerinnen im akademischen Mittelbau, so lautet der Titel des Projektes, gestaltet und kuratiert von Birgit Wingrat mit Fotografien von Julia Baier. Ein Projekt, das >right here<, genau hier, – so gelesen geradezu tautologisch – wo wir, Sie und ich gerade stehen, gezeigt wird. Genau hier, das ist die Glashalle des Studierendenhauses, der Eingangs- , Durchgangsraum des Gebäudekomplexes GW 2, der gleichzeitig auch ein „Fortgangsraum“ ist, denn am Abend strömen ebenso viele Personen vom Campus fort wie am Morgen dort hin.
Mit der Ausstellung wird dieser Raum zum Aufmerksamkeitsraum.
Die wunderbaren Fotoporträts von Julia Baier sind auf den Paneelen aufgebracht, aus denen sich die Glaswände zusammensetzen. Als Abzüge sind sie auf die Glasflächen aufgeklebt. Es wirkt aber so, als würden die Fotos die Flächen ganz ausfüllen, als seien die Bilder mit den Bildträgern identisch. Man könnte sich die Paneele auch als bewegliche Module vorstellen, die verschoben, vertauscht und dadurch in eine immer wieder neue Ordnung zu bringen sind. Oder – auch das eine Assoziation, die mir beim Betrachten in den Sinn kam – als Karten eines Memory-Spieles, für die man die jeweiligen Pendants finden muss. Denn lässt man sich genauer auf die Präsentation ein, erkennt man, dass die einzelnen Porträts mehrfach zu sehen gegeben werden. Ich habe versucht, die jeweils passenden „Karten“ einander zuzuordnen. Das erwies sich als ein durchaus verwirrendes Unternehmen, entspräche damit aber eben der Logik des Memory-Spieles, bei dem Konzentration und ein gutes visuelles Gedächtnis gefragt sind, aus dem die gespeicherten Bilder blitzschnell wieder aufgerufen werden können.
Neben den Fotos sind auch kurze Texte zu sehen. Sie repräsentieren – immer mit einem den Bezugsrahmen kennzeichnenden Stichwort – Zitate aus den Interviews mit den Wissenschaftlerinnen. Auch hier täuscht ein erster Eindruck. Die Zitate lassen sich nicht, wie es einer ersten flüchtigen Wahrnehmung entspräche, eindeutig den porträtierten Frauen zuordnen. Sie stehen zwar unter oder über deren Fotos (oder auch dazwischen), aber: zu welcher Person gehören sie dann? Manches Mal müssen die Betrachter_innen erst einmal den Standort wechseln, um die Zitate überhaupt lesen zu können, denn aus bestimmten Positionen erscheinen sie in Spiegelschrift.
Die Fotowände der Halle regen also dazu an, sich auf das Gezeigte einzulassen, sie fordern die Vorübergehenden zum Hin-Sehen auf.
Die Titel: >right here< kann aber auch in anderer Weise gelesen werden, nämlich im Sinne von „richtig hier“. Auch das ist eine Lesart, die sich an einen Ort richtet, nämlich an die Universität als Arbeitsplatz. Hier ist der richtige Ort, würde das dann - in einem ganzen Satz formuliert - heißen, hier sind sie am richtigen Ort. Sie: die Wissenschaftlerinnen im akademischen Mittelbau.
Der Titel ist in Anführungszeichen, umgekehrten, nach innen gewendeten französischen Anführungszeichen, gesetzt. Anführungszeichen zeigen Hervorhebungen, aber auch Distanzierungen an. Wie man sie versteht, ob als Hervorhebung oder als Distanzierung, hängt vom Zusammenhang ab. Oder von der jeweiligen Perspektive.
Schaut man sich die aus Interviews extrahierten Zitate an, ist bei porträtierten Frauen durchaus eine Distanzierung zu bemerken gegenüber der Annahme, am richtigen Ort zu sein. Die Aussagen sind durch eine deutliche Ambivalenz gekennzeichnet: Neben den Vorteilen oder sogar Glücksmomenten, die eine akademische Position zu bieten vermag – flexible Arbeitszeiten, interessante Inhalte, Anstachlung und Befriedigung intellektueller Neugier – werden auch die zahlreichen Nachteile und Risiken aufgeführt – der Konkurrenz- und Leistungsdruck, die ungewissen Karriereaussichten.
Die strukturellen Hintergründe für diese ambivalenten Einschätzungen sind heute bereits genannt worden; es sind Gründe, die keineswegs ausschließlich Frauen betreffen, die aber, und das sollte doch noch einmal bekräftigt werden, oftmals besonders Frauen angehen.
Soweit die Perspektive der Wissenschaftlerinnen.
Aus Perspektive der Universität als Arbeitgeber müssen die Anführungszeichen >right here< als Hervorhebung gelesen und am besten noch mit einem Ausrufezeichen am Ende versehen werden.
Die Frauen im Mittelbau bringen, die CVs bieten dafür den Anhaltspunkt, so viele und mannigfaltige Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen aus ihren Arbeits- und Lebensbiografien mit und in Forschung und Lehre ein, dass sie zentraler und unverzichtbarer Teil der Universität sind.
Die Vielfalt der Fachgebiete, Statuszugehörigkeiten, Anstellungsverträge u.a.m. im akademischen Betrieb hat die Organisatorinnen der Ausstellung dazu geführt, die Bezeichnung Mittelbau zu verwenden, um das die porträtierten Frauen verbindende anzuzeigen. Für mich ist ‚Mittelbau’ nicht nur der gemeinsame Nenner, sondern vielmehr die passendste und auch anschaulichste Bezeichnung, weil sie die Frauen in der Mitte des Baus – wieder ein räumliches, architektonisches Bild aufrufend – in der Mitte der Universität positioniert.
Und wenn die Mitte, der Kern, die tragende Konstruktion vernachlässigt wird, das weiß ich als Architekturhistorikerin, kulturwissenschaftliche Raumforscherin und noch dazu aus einer Architektenfamilie stammend sicher, dann nützt auch die schönste Fassade nichts; das Gebäude wird über kurz oder lang einstürzen.
Die Reaktion auf die Ausschreibung des Projektes bei den angesprochenen Wissenschaftlerinnen war überwältigend groß; die 30 schließlich beteiligten Frauen mussten per Losentscheid ausgewählt werden.
Den Wissenschaftlerinnen war und ist also offenbar die Sichtbarkeit, d.h. nicht zuletzt ihre eigene Sichtbarkeit als Forschende und Lehrende sehr wichtig.
Es ist daher eine kluge Entscheidung der Ausstellungsmacherinnen und der Fotografin, die Frauen in Einzelporträts vorzustellen und nicht als Mitglieder einer Arbeitsgruppe, wie das häufig geschieht, so als entstehe ein Team und dessen Erfolg quasi aus sich selbst heraus und nicht aus den Talenten, Expertisen und letztlich den unterschiedlichen Persönlichkeiten seiner Mitglieder.
Wir sehen die Frauen in verschiedenen Körperhaltungen – sitzend, stehend, balancierend – und in verschiedenen Ansichten – en face, im Profil usw. –, die Perspektiven sind immer sehr flach gehalten und die Raumkontexte gerade nur angedeutet. Wir sehen die Frauen nicht in ihren Arbeitsräumen oder vor Bücherwänden, allerdings, und das scheint mir bewusst gewählt, gelegentlich vor Tafeln oder Schaubildern, also in ihrer Funktion als Lehrende.
Die Wissenschaftlerinnen werden hier, in der Glashalle des Studierendenhauses deutlich, sehr deutlich sichtbar, aber sind sie damit auch unübersehbar? Gemeint ist: Sehen auch alle genau hin? Gestern, als hier aufgebaut wurde, hörte ich einen vorübergehenden Mann zu seinem Begleiter sagen: ‚Etwas für die Frauen’. Dann unterzog er das, was ihn nach seinen Worten ja gar nicht zu interessieren hätte, doch einer eingehenderen Betrachtung. Wenn das immer, oder sagen wir bescheidener, öfters so funktioniert, dass die Neugier über vermeintliche Gewissheit – ‚Etwas (nur) für die Frauen’ – siegt, dann funktioniert die Glashalle als Ort, dann ist es in der Tat der richtige Ort. Das richtige Projekt ist ‚right here’ sowieso.
PD Dr. Christian Keim,
Bremen, 29.10.2014