(AKAD03) Von weisen Bäumen und wunderbaren Wäldern…
Das Verhältnis von Baum, Wald, Mensch und Natur. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung
„In der Fähigkeit, die Natur zu fühlen,
liegen Heil und Unheil gepaart.
Schweifen die Gefühle wild umher,
so entstehen Naturträume, die Pest dieser Zeiten.“
(Alexander von Humboldt, 1810
in einem Brief an Johann Wolfgang von Goethe)
Der Wald mit seiner vielfältigen Flora und Fauna und seiner besonderen Atmosphäre scheint – wieder einmal – Hochkonjunktur zu haben. Waldbaden, Forest Yoga, Glamping, Survival Training … sind gegenwärtig nur einige der (Lifestyle-) Trends, die versprechen, Natur unmittelbar zu erleben oder mehr noch: eine ‚heilende‘ Verbindung mit der Natur einzugehen. Für viele Menschen ist der Wald offensichtlich immer noch der Ort schlechthin für eine Begegnung mit der Natur: entweder als Ort der eigenen Bewährung in einer wilden, unzivilisierten Gegenwelt oder aber als Rückzugsort für überforderte Stadtmenschen, als ein Refugium der Ruhe, der Entschleunigung, der Kontemplation. Aber, was macht die anhaltende Anziehungskraft einer ‚unberührten Natur‘, was den ‚Zauber der Wälder‘ und die ‚Magie der Bäume‘ eigentlich aus?
Wälder sind vielfältige und vieldeutige Natur- und Kulturräume. Als hochkomplexe und -sensible Ökosysteme gehören sie zu den artenreichsten Gebieten der Erde, die von jeher als Lebensräume, Nahrungs- und Rohstofflieferanten, Sauerstoffproduzenten, natürliche Kohlenstoffsenken und Wasserspeicher… unverzichtbar für das globale Klima und das (Über-) Leben der Menschheit waren und sind. Zudem ermöglichen Wälder nicht nur Leben, sie beflügeln auch die menschliche Einbildungskraft. So verwundert es nicht, dass von alters her der Wald als Mythos und Topos, als Metapher und vielschichtige Denkfigur die Menschheit begleitet. In vielen traditionellen Kulturen sind mächtige alte Bäume wichtiger Teil ihrer Kosmologie: Sie werden bis heute als ‚Quelle des Lebens‘ verehrt und als ‚lebendige Wissensspeicher‘ respektiert, Voraussetzung und Grundlage, mit und in der Natur zu leben, ja, zu überleben. Und doch ist die Zukunft der Wälder weltweit ungewiss: Rücksichtslose Abholzung, Monokulturen und die dramatischen Folgen der anthropogenen Klimakrise bedrohen ihre Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit in zunehmendem Maße.
Immer schon haben die Menschen Einfluss auf Gestaltung und Nutzung der Wälder genommen. Doch erst vor dem Hintergrund kolonialer Expansion und Inbesitznahme der Welt, und mehr noch seit Beginn der Industrialisierung wird die Bedeutung des Waldes oft auf eine ökonomisch bedeutsame, materielle Ressource reduziert, mit folgenreichen Auswirkungen nicht nur für und im Wald.
Bereits um 1800 beginnen in Europa intensive Reflexionen menschengemachter Veränderungen in der Natur. Die romantische Bewegung setzt dem Verschwinden der Wälder die Vorstellung einer lebendigen Natur entgegen, die nicht als Objekt, sondern als Subjekt, mit eigenen Rechten ausgestattet, gedacht wird. Die gefühlvolle Hinwendung zur Natur, die schwärmerische Waldbegeisterung findet ihren Ausdruck in bildender Kunst, Literatur und Musik. Nicht zuletzt eröffnen die literarisch neu entfalteten „wunderbaren Wälder“ bislang ungeahnte Möglichkeiten, den Wald sinnlich-ästhetisch wahrzunehmen und sich mit und in ihm als Mensch neu zu verorten. Den Anspruch der Romantik, die Natur als lebendig zu betrachten, inspiriert in dieser Zeit erste Konzepte für einen globalen Naturschutz und für die Errichtung von Nationalparks.
In der Folge wird jedoch, die von der Romantik vermittelte, tiefe Verbundenheit zum Wald immer wieder politisch instrumentalisiert: Der „deutsche Wald“ wird als Projektionsfläche nationalistischer, rassistischer und biologischer Ideologien missbraucht. In den Debatten um das „Waldsterben“ wird der Wald in den 1980er Jahren zum Sinnbild fortschreitender Umweltzerstörung, wobei es angesichts der drohenden Klimakatastrophe in den letzten Jahren zu einer Globalisierung des deutschen Blicks auf den Wald kommt und dabei die großflächige Zerstörung der tropischen Regenwälder weltweit in den Fokus rückt. Spätestens hier zeigt sich, dass die Wälder der Erde heute nicht nur im Zentrum von Konflikten um natürliche Ressourcen stehen; sie sind Gegenstand unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen und Auseinandersetzungen; ihre Bedeutung ist emotional, symbolisch und kulturell hoch aufgeladen, auch, weil es um das Überleben der Menschheit geht.
Zu fragen ist: Wie können wir unser Verhältnis zu Wald und Natur in Zukunft so gestalten, dass wir sie nicht zerstören, sondern unsere modernen Lebensverhältnisse mit und in ihnen gestalten? Wieviel Einfühlungsvermögen, Emotionalität und auch Kreativität bräuchte es für eine zukunftsfähige (Mit-)Welt? Und: Sollten wir in diesem Sinne nicht doch „Mehr Wildnis wagen“?
In diesem Kontext gewinnt die (romantische) Vorstellung, dass die Natur eigene Rechte besitzt, an Aktualität. Eine Idee mit der (Spreng-) Kraft, das Verhältnis von Menschen und Natur grundsätzlich in Frage zu stellen: Die Natur soll - und hat bereits auf massiven Druck der indigenen Bevölkerungen in einigen Ländern - eigene Rechte bekommen. Doch, auch allein die Frage zu formulieren, ob und welche Rechte ein Wald, ein Fluss, ein Meer haben, verschiebt schon den Blick und hilft, sich eine andere Welt vorzustellen…
Das Seminar veranschaulicht – medial gestützt und in kritischer Auseinandersetzung – Facetten der Kulturgeschichte des Waldes, seiner Gestaltung, Nutzung und Bedeutung sowie grundlegende sozial- und kulturwissenschaftlicher Reflexionen zum Thema Wald und Natur, indem historische wie aktuelle Debatten exemplarisch (in Wissenschaft, Kunst / Literatur, Fotografie / Film, Städtebau / Architektur, Politik, Wirtschaft…) betrachtet werden.
Literatur:
Für das Seminar wird eine Textsammlung in Form eines Readers zur Verfügung gestellt.
Anmerkung:
Zur inhaltlichen Ergänzung sind Expertengespräche, Waldexkursionen sowie ein Museums- und Ausstellungsbesuch (ganztägige Exkursion) angedacht. Näheres wird in der Veranstaltung erläutert.
Dozentin: Dr. Ursula Dreyer
Veranstaltungsart: nur in Präsenz (Akademie, Raum: B 0770):
Gruppe AKAD03A - dienstags, 10:00 s.t. - 12:30 Uhr (ab 15.10.2024)
Veranstaltungsart: hybrid, in Präsenz (Akademie, Raum B 0770 oder wahlweise Online-Teilnahme:
Gruppe AKAD03B - donnerstags, 10:00 s.t. - 12:30 Uhr (ab 17.10.2024)
Die Inhalte beider Gruppen sind identisch (jeweils mit einer kurzen Pause).
Hinweise: Teilnehmerbegrenzung: 40 Personen in Präsenz
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