(AKAD04) Literatur als Sinn-Stifter - ein Poesiealbum für Erwachsene?

Mich erinnert die Fragestellung an die berühmt berüchtigten Besinnungsaufsätze meiner Schulzeit in den Nachkriegsjahren. Das Nachdenken über den Sinn des eigenen Lebens war angesagt. Im Fach Deutsch, Philosophie, doch nicht im Fach Geschichte. Der 79jährige Hermann Hesse, der 1946 den Literaturnobelpreis erhielt, soll die Sinnfrage als “alte Kinderfrage“ bezeichnet haben, die sich ihm immer wieder neu stelle.[1]

Sprachgeschichtlich weist das mittelalterliche Verb sinnen auf reisen, streben, gehen und die Bedeutung mit den Sinnen wahrnehmen zurück. Das Substantiv Sinn bedeutet ursprünglich: einer Richtung nachgehen, fühlen, hinter etwas kommen. Heute ist die Sinn-Frage-Stellung – im Vordergrund der digitalisierten Welt des bloßen Funktionalen und Funktionierens – gänzlich in den Hintergrund getreten.
 

Hier ist bereits ein Arbeitsbeispiel unseres Semestervorhabens: Im Tagebuch 1946-49 von Max Frisch[2] ist zu lesen:

„Du sollst dir kein Bildnis machen.
Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben.“

 

Der Schriftsteller nimmt den Anfang des zweiten Gebotes im Judentum[3] – im Kleinen Katechismus steht es nicht – und bezieht es einfach auf die Liebe des Menschen. Ein schöner Gedanke für eine Traupredigt, die Hochzeitsansprache des Brautvaters oder einen mündlichen oder handschriftlichen Glückwunsch. Für mich ist es eine Sinnstiftung.

Ich habe dazu nur einige bekannte Dichter und Schriftsteller – auf die Biographie und das Werk bezogen – pointiert zusammengestellt und möchte mit Ihnen herausarbeiten, was diese uns heute zu sagen haben.

Das sinnenhafte Wahrnehmen der Literatur – das Lesen und Hören – soll anhand auserlesener Wortlaute und möglichst originaler Hörlaute (CD, DVD) erfolgen. Es gibt auch Arbeitsblätter. Lassen Sie sich herzlich zu dieser Vita experimentalis einladen und laden Sie gern andere dazu ein.


Der Zusammenhang erschließt sich durch die einzelnen Arbeitsschritte vom Lesen & Hören und Verstehen von:

Rainer Maria Rilke: Gedichte, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge.

Thomas Mann – Literaturnobelpreisträger (1929): Die Buddenbrooks, Das Gesetz, Leben – Leben lassen.

Hermann Hesse – Literaturnobelpreisträger (1946): Stufen, Auf den Tod eines kleinen Kindes, seine Innerlichkeit.

Nelly Sachs – Literaturnobelpreisträgerin (1966): ein Lebenswerk in vier Bänden; Selma Lagerlöf und Paul Celan.

Marie Luise Kaschnitz: Adam & Eva, Gedichte, ihre Beerdigungsansprache.

Rosa Ausländerweiß nicht, warum sie schreibt, sie tut es einfach: Gedichte.

Mascha Kaléko: Gebrauchspoesie: Heute ist morgen schon gestern.

Max Frisch: Tagebücher, Romane, Totenrede im Großmünster von Zürich.

Heinrich Böll – Literaturnobelpreisträger (1972): Hörspiele, Gruppe 47 und ein Nachruf auf Ingeborg Bachmann.

Paul Celan: Leben und Überleben, Gruppe 47 und Mohn und Gedächtnis.

Friedrich Dürrenmatt: – der klassische Krimi-Dramatiker und Die Physiker.

Ilse Aichingerdie Spiegelgeschichte.

Ingeborg Bachmann: Gedichte, Gruppe 47 und Das dreizigste Jahr.

Günter Wilhelm Grass – Literaturnobelpreisträger (1999):  ein deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker.

 


[1] Neue Zürcher Zeitung vom 7. Juni 1956

[2] Frankfurt 1950, 28f.

[3] 2. Mose 20,4


Dozent:    Dr. theol. Klaus Dirschauer

Zeit:     mittwochs, 09:30 s.t. - 11:00 Uhr   (ab 16.10.2024)

Veranstaltungsart:    hybrid, in Präsenz (Akademie, Raum B 0660) oder wahlweise Online-Teilnahme

Hinweis:   Teilnehmerbegrenzung: 40 Personen in Präsenz

Kontakt

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