(ZC) Koloniale Spurensuche in Bremen: Das Übersee-Museum
Erinnern Sie sich? An die Faszination der fremden Ferne im exotischen Rumpelkammer-Ambiente, das zu Entdeckerlust und Abenteuerfantasien einlud? An den geheimnisvollen Schauder angesichts seiner angestaubten, in magisches Halbdunkel getauchten Inszenierungen, die sich als Bild von den Welten „in Übersee“ in die Kindheitserinnerungen eingeschrieben haben?
Was war das Bremer Übersee-Museum der 1950er und 1960er-Jahre?
„Die Welt unter einem Dach“, sagte Hugo Schauinsland, der Gründungsdirektor des „Städtischen Museums für Natur-, Völker- und Handelskunde“, dessen Idee bis 1979 das Übersee-Museum prägte.
Ein kolonialistisches Panoptikum, sagten die Kritiker:innen in den 1970er-Jahren, das mit exotischen Inszenierungen eines kolonialen Weltbildes mit „lebensechten“ Schaugruppen aus schwarzbemalten Gipspuppen vor exotischen Hausmodellen unter lebenden Palmen zum kolonialen Blick auf den fremden Anderen und die außereuropäische Welt erzog.
1979 präsentierten sie dann ein entrümpeltes Museum. Mit dem exotischen Zauber „der früheren abenteuerlichen und geheimnisvollen Atmosphäre“ - so ein enttäuschter Museumsbesucher – war es vorbei. Licht, Übersichtlichkeit und Information schufen eine „sachliche und untheatralische Atmosphäre“ (Rainer Mammen), die vom entgeisterten, vielfach empörten Bremer Publikum erst einmal verdaut werden musste.
Der Bruch mit den kolonialen Traditionen, der mit dem Namen Herbert Ganslmayr verbunden ist, löste eine lange, heftige Kontroverse um die Deutungshoheit über das Museum aus: wer war berechtigt, die altehrwürdige Institution zu repräsentieren? Mit welchen Inhalten und Bildern von der Welt? Damals erregte der Bruch viele Gemüter – und nahm doch eigentlich nur die Frage vorweg, der sich heute kein ethnologisches Museum mehr entziehen kann:
- Wer spricht hier eigentlich?
- Über wen und mit welcher Sprache?
- Welches Weltbild, welches Menschenbild produziert das Museum?
„Sammeln – Bewahren (Forschen) – Ausstellen“: so definieren bis heute Museen ihren klassischen Arbeitsauftrag. Dieses Selbstverständnis der Museen, insbesondere der ethnographischen, wird heute massiv angefochten. Von kolonialismuskritischen Stimmen in den Ländern, die im Besitz einer reichen Museumslandschaft sind (also den westlichen). Vor allem aber von den Herkunftsgemeinschaften und -ländern der Museumsobjekte. In dem Streit um Provenienzen, (Rechts-)Ansprüche und Restitutionen sind die ethnographischen Museen als Archive der kolonialen Verflechtungsgeschichte Symbol und Austragungsort einer dekolonisierten Neubewertung der historischen Beziehungen zwischen Globalem Süden und Globalem Norden geworden.
Sammeln – Bewahren – Ausstellen: in der Geschichte und den Geschichten der ethnographischen Sammlungen des Übersee-Museum verbirgt sich ein eindrucksvolles Panorama von friedlichen und unfriedlichen Beziehungen zwischen Buten und Binnen und der meist unheiligen Allianz von „Wagen“ und „Winnen“(*). Mit seiner Repräsentation der Welt des 19./20. Jahrhunderts und der Verbreitung kolonialer Denkmuster als der legitimen Weltsicht war das Museum Akteur der Kolonialgeschichte. Als Archiv der Erinnerung repräsentiert es unser koloniales Erbe und zwingt uns zur kritischen Reflektion der Vergangenheit und ihrer globalen Nachwirkungen heute.
Diese Zusammenhänge waren es, die die Neukonzeption des Museums bestimmten. In dem Auf und Ab der konzeptionellen Auseinandersetzungen seit 1979 ging und geht es um die Frage, was ein dekolonisiertes ethnographisches Museum wie das Übersee-Museum im 21. Jahrhundert noch sein kann und sein soll.
Die „Koloniale Spurensuche in Bremen“ wird im WS 2024/25 fortgesetzt mit weiteren Schauplätzen der bremischen Kolonialgeschichte.
(*) für Buten- und Neubremerinnen und -bremer: der Wahlspruch der bremischen Kaufmannschaft ist nachzulesen über dem Portal des Schütting.
Dozentin: Dr. Helga Rathjen
Termine: 6 x mittwochs
- 28.08. + 04.09. + 11.09. + 18.09. + 25.09. + 02.10.2024
Zeit: 10:00 (s.t.) bis 11:30 Uhr
Entgelt: 60,- Euro
Veranstaltungsart/ -ort: hybrid, in Präsenz (Akademie, Raum B 0660) oder wahlweise Online-Teilnahme
Hinweis: Teilnehmerbegrenzung: 40 Personen in Präsenz