(L) Michael Köhlmeier „Das Philosophenschiff“

Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier

In seinem neuen Roman treibt Köhlmeier ein virtuoses Spiel mit Historie und Fiktion. Alles beginnt vermeintlich harmlos: auf dem 100. Geburtstag der 1908 in Sankt Petersburg geborenen Architektin Anouk Perleman-Jacob bittet diese den auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin eingeladenen Autor Michael um ein Treffen, bei dem sie ihm folgendes mitteilt: „Ich habe mich über Sie erkundigt. Sie haben einen guten Ruf als Schriftsteller, aber auch einen etwas windigen. Ich weiß, dass Sie Dinge erfinden und dann behaupten, sie seien wahr. Jeder wisse das, hat man mir gesagt, aber immer wieder gelinge es Ihnen, Ihre Leser und Zuhörer hinters Licht zu führen. Deshalb glaube man Ihnen oftmals nicht, wenn Sie die Wahrheit schreiben, und glauben Ihnen, wenn Sie schummeln.“ Michael solle, so ihr Auftrag, keine weitere Biographie über sie schreiben, sondern ihre Erinnerungen an die Jahre 1922 bis 1924 festhalten: „Was niemand weiß, das sollen Sie schreiben, ein Schriftsteller, dem man nicht glaubt, was er schreibt. […] Gesagt werden soll es. Und wenn es keiner glaubt, umso besser.“

Damals – als Vierzehnjährige – musste Anouk Perleman-Jacob mit ihren Eltern Sankt Petersburg verlassen. Auf einem der sogenannten „Philosophenschiffe“, von denen es 1922 mindestens fünf tatsächlich gegeben hat, wurden sie außer Landes gebracht. Die Bolschewiken waren damals dazu übergegangen, nicht nur massenhaft Klassenfeinde zu liquidieren, sondern auch verdiente Mitkämpfer und potenzielle Gegner zu erschießen. In einer denkwürdigen Aktion wurden einige Hundert privilegierte Verfolgte – anerkannte Wissenschaftler, Künstler, Ärzte – auf Lenins persönliche Anordnung hin „in die Freiheit deportiert“. Köhlmeier leistet sich hier ein besonderes Fabulieren: er konzipiert seine Geschichte nämlich so, dass auf eben dieses Philosophenschiff, das Anouk und ihre Eltern aus Russland fortbringen soll, auf hoher See ein Passagier zugeliefert wird: es ist Lenin selbst. Was aus dieser Idee entspringt, ist spannend und anregend zu diskutieren. Die Rezension der Süddeutschen Zeitung bringt den Roman folgenderweise auf den Punkt: „Penibel recherchiert und freigebig mit Fiktionen erzählt Michael Köhlmeier aus einer besonders paranoiden Phase der russischen Geschichte“.

Michael Köhlmeier wurde am 15. Oktober 1949 in Hard am Bodensee geboren. Bereits als Jugendlicher verfasste er eigene Lieder und trat damit auf. Nach der Matura studierte er von 1970 bis 1976 Germanistik und Politologie in Marburg, sowie von 1977 bis 1980 Mathematik und Philosophie in Gießen. Köhlmeier arbeitete einige Jahre beim Österreichischen Rundfunk, bevor er sich entschloss, als freier Schriftsteller zu leben. Seit 1981 ist Köhlmeier mit der Autorin Monika Helfer verheiratet; sie haben zwei gemeinsame Kinder. 1984 erschien sein erster Roman „Moderne Zeiten“, danach folgten, um bei diesem äußersten produktiven Autor nur die Romanveröffentlichungen der letzten Jahre zu nennen, 2007 „Abendland“, 2010 über seine bei einer Wanderung tödlich verunglückte Tochter „Madalyn“, 2014 der vielbeachtete Erfolg „Zwei Herren am Strand“, 2018 „Bruder und Schwester Lenobel“, 2021 „Matou“ sowie 2023 „Frankie“. Köhlmeiers Werke wurden seit 1974 mit zahlreichen Preisen bedacht, so zum Beispiel 1988 mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis, 2007 mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, 2015 mit dem Preis der LiteraTour Nord, 2017 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Literaturpreis.
 

Literatur:
Michael Köhlmeier „Das Philosophenschiff“. München: Hanser 2024.
 


Dozentin:    Dr. Ina Düking

Termin:   5 x donnerstags

  • 20.02., 27.02., 06.03., 13.03., 20.03.2025

Zeit:        14:15 (s.t.) bis 15:45 Uhr

Entgelt:   55,- Euro

Veranstaltungsart:   nur in Präsenz (Akademie, Raum B 0770)

Hinweis:   Teilnehmerbegrenzung: 50 Personen

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