Auf einen Espresso mit... Helmut Zachau
Helmut Zachau, Jahrgang 1948, hat nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann und einem Fachhochschulstudium der Sozialökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg, von 1973 – 1976 an der Bremer Uni LSIIbF studiert, Lehramt Sekundarstufe II mit beruflicher Fachrichtung. Später war er Lehrer, fünf Jahre Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen und vor seiner Pensionierung zuletzt Direktor des Schulzentrums Walle.
Warum bist Du zum Studium an die Universität Bremen gegangen?
Das war ein eigentlich zufällig. Ich habe eine Zeit lang in München gearbeitet und dort eine Frau kennen und lieben gelernt, die Bremerin ist. Nach dem Studium an der HWP bin ich deshalb nach Bremen gezogen und wollte in der Erwachsenenbildung arbeiten. Aber das hat sich zerschlagen, und dann hat mir ein Bekannter vorgeschlagen, an die Uni zu gehen – was ich damals überhaupt nicht auf dem Zettel hatte. Ich habe mich beworben und hatte das Glück, gleich einen Platz für den Studiengang LSIIbF zu kriegen. Es war jedenfalls nicht aus politischen Motiven.
Was war an der Uni Bremen für Dich die prägendste Erfahrung?
Die totale Offenheit, die da war. Das Studium an der HWP war bei allem gewerkschaftlich-linkem Anspruch relativ stringent organisiert. Wir kamen alle aus dem Berufsleben. Du hattest dort eine Anzahl von Kursen, die mit einer Klausur endeten. An der Uni Bremen war das ganz anders. Hier habe ich keine einzige Klausur geschrieben. Hier hat mir niemand gesagt, was ich eigentlich machen muss. Das war nicht so einfach herauszufinden, wo man hingehört und was man selbst machen wollte, auch wenn unser Studiengang relativ klein war. Auch das Projektstudium war eine völlig neue Herangehensweise für mich. Das war wirklich spannend.
Wie würdest Du die damalige politische Atmosphäre an der Uni aus der Rückschau bewerten?
Ich habe da extrem viel gelernt und wundere mich, dass die Uni bei den 50-Jahres-Feiern diese Phase weitgehend versteckt. Ich war im Sozialistischen Hochschulbund (SHB) organisiert und dadurch schnell in politischen Strukturen drin, eine sehr intensive Zeit. Wenn wir beispielweise bei dem Jura-Professor Gerhard Stuby über den antifaschistischen Charakter des Grundgesetzes diskutiert und uns mit den Maoisten auseinandergesetzt haben, die meinten, das Grundgesetz sei nur ein Instrumentarium des Imperialismus zur Ausbeutung der Arbeiterklasse. Oder die ganze Frage der Notengebung, was für meinen späteren Beruf eine große Bedeutung hatte, darüber zu reflektieren, was sagt eigentlich so eine Ziffern-Note aus. Oder die Integrierte Eingangsphase, in der wir zwei Semester intensiv reflektiert haben, welche gesellschaftliche Bedeutung hat unser künftiger Beruf, warum ergreifen wir ihn? Das waren Prozesse, die mich persönlich und politisch unglaublich weitergebracht haben.
Du warst als Student auch an der legendären Foto-Aktion „Geht die rote Uni baden?“ beteiligt...
Die Uni hatte damals einen schlechten Ruf als „rote Kaderschmiede“. Mit dieser Aktion war die Hoffnung verbunden, dass die Uni in einem Magazin mit Massenauflage wie dem „Stern“ einen Bericht bekommt, in dem wir nicht nur als linksradikale Umstürzler dargestellt werden, sondern dass einmal über Inhalte der Unireform berichtet wird. Deshalb habe ich mitgemacht, obwohl mir die Baderei nicht so gefallen hat, weil ich in dem erlauchten Kreis der einzige war mit erkennbarem Ansatz zum Übergewicht. Das Foto wurde dann auch Titelbild im „Stern“, aber leider war der Bericht genauso eine Katastrophe wie alle anderen vorher. Das hat dann in der Studierendenschaft zu viel Kritik geführt, dass ich ein Karrierist sei, der sich gemein gemacht hätte mit der bürgerlichen Presse. Später kam dann aber die witzige Seite dazu, dass mich Schüler:innen immer wieder darauf angesprochen haben, wenn sie ihre Hospitationstage an der Uni hatten. Das hat mich dann für den Ärger der ersten Jahre gut entschädigt.
Was hast Du aus dem Studium für Dein Berufsleben mitgenommen?
Sehr viel. Die Notwendigkeit zur Teamarbeit, das gemeinsame Reflektieren. Und Konzepte, z.B. „Lernen lernen“. Ich habe später als Lehrer einen Modellversuchsantrag geschrieben, da habe ich mich ganz stark daran orientiert. Und andere Aspekte der Pädagogik, für die wir damals als linke Utopisten „verprügelt“ wurden, die aber heute selbstverständlich sind.
Was verbindest Du mit 50 Jahre Uni Bremen?
Erstmal meine eigene Geschichte. Dann aber auch, was sich geändert hat. Ich habe nach meiner Pensionierung ein Praktikum von Lehramtsstudierenden begleitet und war geschockt, was aus unserem Studium geworden ist. Kaum etwas zu sehen von übergreifenden Fragestellungen, von gesellschaftlichen Reflektionen. Da haben mir die Studierenden erklärt, dass sie alles über Creditpoints, letztlich eine Summe von Einzelwissen abrechnen. Das finde ich schade, pädagogisch ist das nicht ajour. Da frage ich mich: warum ist das heute weg? Das war doch richtig, was wir gemacht haben. Für mich zählt die alte Buchhalterweisheit: Wenn Du nicht weiter weißt, geh auf die Eröffnungsbilanz zurück, und das bedeutet für die Uni: Warum machen wir das eigentlich? Diese Grundsatzfrage habe ich mir beibehalten. Diesen Baustein Universität habe ich meinem ganzen Leben kultiviert.