Auf einen Espresso mit...Dr. Dieter Brand-Kruth
Dieter Brand-Kruth hat von 1993 bis 1999 ein Lehramtsstudium (Biologie/Deutsch) an der Universität Bremen absolviert. Seinen Berufsweg als Polizist (1979-1982) hat er nach einem schweren Unfall aufgegeben. Danach war er Volontär und Redakteur bei der Nordwest-Zeitung Oldenburg, von 2000 bis 2014 Sek II Lehrer am Gymnasium Horn. 2017 Promotion im Fachbereich Kulturwissenschaften. Seitdem ist er in der Märchenforschung tätig.
Warum haben Sie sich für ein Studium an der Universität Bremen entschieden?
Dafür gab es vor allem drei Gründe. Ich hatte ja vorher in Oldenburg gewohnt und dann gab es den glücklichen Umstand, dass meine Partnerin aus beruflichen Gründen auch nach Bremen ziehen wollte. Ein weiterer Aspekt war, dass Bremen eine Campus-Universität ist und alle Fachbereiche und wichtigen Einrichtungen räumlich nah beieinander liegen. Die Räume für meine beiden Studienfächer Biologie und Deutsch waren nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Das war für mich als Rollstuhlfahrer ein entscheidender Vorteil, auch wenn die Uni nicht barrierefrei war. Was mir zudem sehr gut gefallen hat, dass es in Bremen das Projektstudium gab, das gleichzeitig sehr eng mit dem forschenden Lernen verbunden war.
Haben sich diese Erwartungen im Studium auch erfüllt?
Das Projektstudium war hervorragend. In Biologie hatten wir ein zweisemestriges Projekt über Medien in der Biologie. Da habe ich mich mit einer Kommilitonin mit dem Thema „Vom Holz zum Papier“ befasst. Wir haben ein Semester lang recherchiert, einen Förster und eine Papierfabrik besucht und am Ende ein halbstündiges Video produziert. Das konnten wir in Absprache mit den Dozent:innen relativ selbständig erstellen. In Deutsch haben wir uns mit dem Thema Tourismus befasst, was auf den ersten Blick etwas fachfremd wirkt. Aber wir haben dann u.a. einen Stadtführer erstellt, in dem ich das Kapitel „Mit dem Rollstuhl durch Bremen“ geschrieben habe. Diesen Stadtführer gibt es heute noch.
Wie waren damals Ihre Erfahrungen als Rollstuhlfahrer an der Uni?
Die Uni hatte schon einige Einrichtungen, die in Richtung Barrierefreiheit gingen, z.B. Tasten, mit denen sich Türen öffnen ließen. Aber insgesamt waren die Wege nicht so einfach zu machen. Das GW2 ist ohnehin ziemlich unübersichtlich und mit dem Rollstuhl musste ich ja immer die Fahrstühle nutzen und mich in jeder Etage neu orientieren. Das war im ersten Semester ein Graus! Dann gibt es im GW2-Innenhof das Kopfsteinpflaster, ein Bereich, den ich weiträumig umfahren musste. Das größte Problem waren die Umwege und die Zeit, die ich dafür zusätzlich benötigte. In der Biologie gab es in einigen Fällen Schwierigkeiten bei den Versuchen. Die sind vom Rollstuhl aus meist komplizierter zu arrangieren; mit etwas Unterstützung ließ sich das meiste aber gut bewältigen.
Nach Referendariat und zehn Jahren Lehramt sind Sie dann wieder zurück an die Universität gegangen, um zu promovieren. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich wollte noch mal wissenschaftlich arbeiten. Mich hat diese Genauigkeit in der Quellenarbeit fasziniert. Das war mir anfangs gar nicht so bewusst. Aber als dann die ganze Plagiatsdiskussion im Fall Guttenberg aufkam, habe ich das für meine Arbeit sehr ernst genommen. Die rund 1.500 Zitate in meiner Dissertation sind wirklich genauestens belegt. Und mich begleitet das Thema Märchen schon seit meiner Kindheit. Meine Mutter hat uns viele Märchen vorgelesen und dazu trug sicher auch die Umgebung bei, in der wir gewohnt haben, im emsländischen Dörpen, direkt am Waldrand. Gegen Ende meines Studiums habe ich mich dann zum ersten Mal wissenschaftlich mit Märchen befasst. Besonders prägend war dabei mein Auslandssemester an der University of North London, bei dem ich ein Seminar besucht habe, in dem wir Märchen mit den psychoanalytischen Methoden von Sigmund Freud untersucht haben.
Ihre Dissertation ist eine soziokulturelle Studie zu den Bremer Stadtmusikanten. Was fasziniert Sie an diesem und generell an Märchen?
In Märchen stecken Lebensweisheiten. Märchen sind keine wahren Geschichten, die sich tatsächlich so zugetragen haben, aber dennoch enthalten sie eben unendlich viele Wahrheiten über das Leben. Bei den Bremer Stadtmusikanten geht es darum, dass es sich lohnt, solidarisch zu sein. Dass man bei Problemen nicht aufgeben soll, sondern sich die Situation bewusst machen und sich dann klar darüber werden soll, welche Ressourcen man hat, um Dinge positiv zu wenden und Verbündete dafür zu finden, eine Strategie zu entwickeln und sich auf den Weg zu machen. Das Erstaunliche ist ja bei den Stadtmusikanten, dass der Esel das alles macht. Der vermeintlich Dumme ist der Kluge, der die Situation am besten erkennt. Er hat eine Strategie, er hat Empathie für die anderen Tiere und er motiviert sie. „Du hast eine gute Stimme“, sagt er zum Hahn, obwohl er kurz zuvor beklagt: „Du schreist einem durch Mark und Bein.“ Da steckt natürlich eine Portion Ironie drin.
Nicht aufgeben, das hat ja auch mir Ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun…
Natürlich. Aber das gilt für alle. Wenn Du ein Problem hast, mach Dir bewusst, welche Ressourcen Du hast. Kann ich das selbst bewerkstelligen oder brauche ich Verbündete? Das Märchen ist eine Flüchtlingsgeschichte, bei der die Herrschafts- und Machtverhältnisse und auch das Alter eine besondere Rolle spielen und dennoch lassen sich die Botschaften auf viele Situationen des Lebens auch von jungen Menschen übertragen. Ich habe das alles in meinem Buch „Auf nach Bremen – Den Stadtmusikanten auf der Spur“ sehr ausführlich beleuchtet.
Was würden Sie heutigen Studierenden empfehlen?
Medienkompetenz ist sehr wichtig. Quellen und Ihre Verlässlichkeit sind sehr wichtig. Es kommt auf Genauigkeit an. Auch das Studium von originalen Werken ist bedeutsam, vieles liegt ja inzwischen in digitaler Form vor. Jetzt, wo künstliche Intelligenz und Chatbot GPT eine immer größere Rolle spielen, ist ein stets kritischer Blick wichtig. Wenn man diese Aspekte ernst nimmt, kann man Stoffe auch viel besser durchdringen. Ich bin immer noch begeistert vom Projektstudium und vom forschenden Lernen. Wenn sich solche Möglichkeiten auftun, nutzt sie!
Was verbinden Sie heute mit der Universität Bremen?
Tatsächlich den Alumni-Verein. Diese vielen Kontakte und Möglichkeiten, sich darüber die Stadtgesellschaft auch durch Besuche vor Ort zu erschließen, das ist genial. Darüber hinaus ist die Uni für mich auch heute noch ein Pool, in dem ich mir Bücher und Medien besorgen und wissenschaftliche Kontakte pflegen kann.