Wums oder Rums?
Deutschland-Stipendiaten bloggen über die Pandemie Wie kommen eigentlich Studierende durch die Corona-Krise?
Ihre Erfahrungen tauschen die Deutschland-Stipendiaten an der Uni Bremen in einem eigenen Blog aus. (Drei Stipendien werden übrigens vom Alumni-Verein finanziert.) Wie gestaltet sich in Zeiten von COVID19 ein Auslandsemester in den Niederlanden? Welche Erfahrungen macht eine chinesische Studentin im Supermarkt? Die Beiträge sind ernst, nachdenklich, offen – und witzig.
Alexander Weiß – Produktionstechnik – 3. Mastersemester
Das letzte Jahr war ziemlich aufregend. Zuerst kam nach dem Bachelor an der Hochschule der Wechsel zum Masterstudium an der Universität Bremen, dann die Aufnahme in das Deutschlandstipendium und nun die Corona-Krise.
Neue Umstände bringen immer auch neue Herausforderungen mit sich und erfordern zum Teil kreative Lösungen. Da ich demnächst mit meiner Masterthesis anfangen werde, betreffen mich die Online Vorlesungen eher weniger. Ich habe mich zwar mental auf längere Aufenthalte zuhause und das Schreiben der Thesis eingestellt, aber nicht in diesen Ausmaßen. Zum Glück klappt die Literaturbeschaffung auch online.
Da die Fitnessstudios seit mehreren Wochen zugemacht haben, mussten ein paar Geräte her. Ein paar abgeschraubte Platten von IKEA-Tischen und die Sofaecke erfüllen ihren Zweck als Liegebank, hinterlassen jedoch hier und da einen blauen Fleck. Die Postboten kennen meinen Namen, wir sind jedoch keine Freunde mehr, nachdem ich mehrere Hanteln und Gewichte bestellt habe.
Dafür ist Mutti stolz. Sie, eine ehemalige Musiklehrerin, wartet nun darauf, dass ich, der noch nie ein Musikinstrument beherrschte, ein erstes Lied auf Gitarre spiele. Filtert man ein paar Emotionen der Nachbarn und sieht nur das positive in ihren Aussagen, so beherrsche ich wohl ein paar Akkorde mittlerweile ganz gut.
Diesen Monat wird mein Werkstudentenvertrag vorzeitig gekündigt. Wieder ein neuer Umstand, der eine kreative Lösung erfordert.
Zum Glück liefert das Stipendium einen gewissen Puffer und dafür möchte ich DANKE sagen!
Enqian Wu – Medienkultur und Globalisierung – 4 Mastersemester
Ein ungewöhnliches Jahr 2 0 2 0
Seit dem Wintersemester 2018 studiere ich Medienkultur und Globalisierung an der Universität Bremen. Das Studium in Deutschland, die Wohngemeinschaft mit Latinos, die Herkunft aus Asien - diese vielfältigen Elementen haben mich gestaltet. Das ungewöhnliche Jahr 2020 macht mir bewusster, wie sich die Globalisierung in unseren Leben entwickelt hat.
Das traditionelle Chinesische Neujahr fand dieses Jahr in Januar statt: festliche Atmosphäre überall, die Heimfahrt, das Familientreffen, der Urlaub gehören auch dazu. Im Februar wollte ich nach China fliegen, weil ich meine Familie ungefähr ein Jahr nicht gesehen habe seit ich in Deutschland studiere. Leider hat diese Coronakrise in China ausgebrochen. Mein Flug wurde storniert und zahlreiche Airline haben die Flüge nach China unterbrochen. Auch in China sind viele Städte abgeriegelt worden und alle Bürger sollen hauptsächlich zu Hause bleiben. Jeden Tag als ich aufstand, holte ich erstmal mein Handy und las die Nachrichten: wie geht es meiner Familie? Wie hat sich die Situation in China entwickelt... Meine Mutter sagt zu mir, dass sie noch nie so eine ungewöhnliche Zeit erlebt hatte. Ich konnte sie nicht vor Ort unterstützen, sondern nur via Handy zu begrüßen.
Der März kam und der Kampf gegen die Coronakrise hat in Deutschland begonnen. Während der Coronakrise in China habe ich oft die Studien der Epidemiologie und die Schutzmaßnahmen recherchiert. Das führt zu meinem „verrückten“ Verhalten im Alltag: eignes Geschirr mitzunehmen in die Mensa; Abstand zu halten statt Umarmung und Kuss bei der Begrüßung; Desinfektionsmittel und Mundschutz zu kaufen; den Karneval abgesagt zu haben... Meine Mitbewohnerin aus Südamerika fand es total übertrieben. Als die Coronakrise in Deutschland ausbrach, habe ich eine andere Herausforderung begegnet: Missverständnis. Ein paar Mal als ich im Supermarkt oder auf der Straße war, wurde ich als „Coronavirus“ von anderen bezeichnet. Ich würde das nicht als Rassismus, sondern Missverständnis wahrnehmen, weil der Vernunft der Menschen verlieren sein könnte, wenn die Angst überwiegt. Aber ich hoffe natürlich nicht, dass man den Stereotyp zwischen Chinesen und Coronavirus führt. Wir sind alle Menschen und es ist dem Virus egal vor der Nationalität.
Das Leben geht weiter und auch das Studium. Im Laufe der Zeit habe ich wie geplant alle Hausarbeiten geschafft und zurzeit beschäftige ich mich mit meiner Masterarbeit. Ich will bald in Deutschland auf eigenen Beinen stehen können, obwohl es nicht einfach in dieser ungewöhnlichen Zeit ist. Ich bin sehr dankbar, Deutschlandstipendium erhalten zu können, weil es mir nicht nur die Anerkennung meiner Leistung ist, sondern auch für die Wertschätzung für globale Nachwuchs steht.
Zum Schluss würde ich ein Gedicht von Goethe beenden, West-östlicher Divan
Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen, lass’ ich gelten;
Also zwischen Osten und Westen
Sich bewegen, sei’s zum Besten!
Es ist mir eine deutsche Redewendung eingefallen, die lautet, Berg und Tal kommen nicht zusammen, wohl aber die Menschen. In diesem ungewöhnlichen Jahr 2020, Wums oder Rums? Es kommt auf uns an!
Helle Bethke – Public Health/Gesundheitswissenschaften – 4. Bachelorsemeste
Mittlerweile überrascht es mich, wie sehr ich mich bereits an diese andere Form von „Normalität“ gewöhnt habe. Bis vor Kurzem waren Online-Treffen in meinem Leben quasi überhaupt nicht vorhanden – und jetzt bin ich daran gewöhnt, von einem Zoom-Meeting ins nächste zu hüpfen und zwar physisch viel am selben Ort, dafür mental ständig woanders zu sein. Das ist einerseits wunderbar praktisch und andererseits fehlen mir oft Übergangszeiten und -wege, direkte Kontakte und andere Umgebungen. Gefühlt vermischt sich Arbeit, Uni, ehrenamtliches/politisches Engagement, WG-Leben und Freizeit oft zu einem diffusen Brei und ich versuche alles irgendwie gleichzeitig zu machen. Was dazu führt, dass ich für die Arbeit telefoniere, während ich koche, oder Gymnastik mache, während ich (mit hoffentlich ausgeschalteter Webcam) einer Vorlesung zuhöre, oder mit den Students for Future etwas plane, während ich nebenbei noch kurz irgendeinen Text für ein Gruppenprojekt überarbeite und mich irgendwann frage, warum ich mich eigentlich so wirr im Kopf fühle. Ein Glück, dass ich noch keine viereckigen Augen habe.
Mein privates Sozialleben regeneriert sich, nachdem es sehr abrupt zusammenschrumpfen musste, allmählich wieder ein wenig. Begleitet wird die Regeneration durch die ständigen Fragen: Geht das jetzt wieder so? Ist das in Ordnung? Was kann ich (wieder) vertreten, was (noch) nicht? Es gibt Momente, da wünsche ich mir eine Zeitreise ein paar Monate in die Vergangenheit, um mal so richtig zu spüren, wie schön ein Treffen mit einem Haufen Leute sein kann. Oder ein Tag an der Uni, ein Konzert oder was-auch-immer, das bis vor Kurzem völlig selbstverständlich war und mittlerweile schon fast utopisch erscheint. Und dann gibt’s auch Momente, in denen ich denke: Warum renne ich eigentlich sonst immer ständig irgendwo hin, nehme mir alles Mögliche vor und bin kaum einfach mal nur zuhause?
Mich haben die letzten Monate daran erinnert, wie wertvoll es ist, ein Zuhause zu haben und mich dort wohl zu fühlen. Menschen in meinem Leben zu haben, an die ich viel denken musste, weil die Aussicht, von ihnen möglicherweise längere Zeit abgeschnitten zu sein, echt furchtbar war, und andere Menschen (= meine WG), mit denen ich plötzlich sehr viel Zeit verbracht habe. Ein Fach zu studieren, das mich wirklich interessiert. Mir ist bewusst geworden, dass ich insgesamt echt großes Glück habe, mein Studium und auch meine Arbeit zwar unter anderen Bedingungen als sonst, aber dennoch im Großen und Ganzen gut weiterführen zu können – und mir keine finanziellen und existenziellen Sorgen machen zu müssen, wozu das Stipendium einen großen Teil beiträgt. Das sind Privilegien, die längst nicht jeder Mensch hat, und ich arbeite momentan viel daran, mir dieser und weiterer Privilegien bewusster und mir klar zu werden, wie ich mich weiter dafür einsetzen möchte, bestehende Ungleichheiten sichtbar zu machen und anzugehen. Die Coronapandemie mit all ihren Auswirkungen, die Klimakrise, die Ermordung von George Floyd, Ereignisse und Zustände wie diese halten uns viele Spiegel vor die Nase und ich finde es wichtig, hineinzuschauen, auch wenn, oder gerade wenn, es unangenehm werden könnte.
Hanna Marie Höxter – Wirtschaftspsychologie – 4. Mastersemester
Auslandssemester im Homeoffice
Für dieses Jahr war mein Auslandssemester in den Niederlanden geplant, das mir unter anderem auch durch das Deutschlandstipendium ermöglicht wurde. Vielen Dank!
Noch bevor ich die ersten Klausuren schreiben konnte, wurden die Präsenzveranstaltungen auf Online-Vorlesungen umgestellt aufgrund des Coronavirus. Austauschstudenten, die jetzt lieber zu Hause bei ihren Liebsten sein wollten, wurde ganz unkompliziert ein kurzfristiges Mietvertragsende angeboten. So konnte ich die zweite Hälfte meines Auslandssemester von zu Hause aus zu Ende führen. Natürlich ist das aber kein Vergleich zu dem Leben in den Niederlanden und der persönliche
Kontakt zu den anderen Austauschstudent*innen fehlt mir.
Die Universität Leiden ist aber zum Glück sehr aktiv auf ihren Social-Media-Kanälen. Weil alle Sportkurse abgesagt wurden, hat die Uni kurzerhand auf ihrem Instagram-Account Online-Kurse angeboten und so konnte ich auch zurück in Deutschland noch Yin Yoga machen.
Weil ich die zwei Monate, die ich in Leiden sein durfte, wirklich genossen habe, freue ich mich schon sehr darauf, dort einmal Urlaub zu machen und in all die kleinen Cafés zu gehen, in die ich aufgrund des Coronavirus nicht mehr gehen konnte.
Nina Goldmann - Psychologie - 4. Fachsemester, Bachelor
Licht und Schatten in Corona-Zeiten
Durch die Corona-Pandemie hat sich in meinem Leben viel geändert, im Gegensatz zu vielen anderen empfinde ich die meisten dieser Dinge allerdings nicht als belastend. Durch die Umstellung auf das Online-Semester spare ich jede Woche 12 Stunden ein, die ich sonst beim Pendeln in öffentlichen Verkehrsmitteln verbracht hätte. Da ich allgemein ein eher introvertierter Mensch bin, genieße ich diese zusätzliche Zeit, die ich mit Lesen, Zeichnen, Malen oder Kochen verbringen kann.
Diesen Ausgleich brauche ich allerdings auch, da der Arbeitsaufwand in den Seminaren durch die Umstellung auf die Online-Lehre massiv gestiegen ist. Zu den üblichen Prüfungs- und Studienleistungen gesellen sich wöchentliche Hausaufgaben, die Gruppenarbeiten über Zoom gestalten sich dank technischer Probleme häufig eher schwierig und der fehlende persönliche Kontakt zu den Dozenten erschwert das Lernen.
Meine ehrenamtliche Tätigkeit bei den Studienlots*innen hat sich insofern verändert, als dass die Kontakte nur noch per Mailaustausch und nicht mehr durch persönliche Treffen stattfinden können. Das ist natürlich schade, da die Studieninteressierten so keine direkten Einblicke in den Unialltag und die Vorlesungen gewinnen können.
Trotz der Tatsache, dass ich persönlich von den Einschränkungen durch die Pandemiesituation kaum betroffen bin, freue ich mich auf die Zeit nach der Corona-Krise, besonders weil ich die Not bei vielen Mitstudierenden, Freunden und in der Familie sehe. Viele haben finanzielle Probleme, da Nebenjobs gestrichen, Kurzarbeit angemeldet oder die Kinderbetreuung nicht sichergestellt werden kann.
Ich fühle mich durch das Deutschlandstipendium also sehr privilegiert, da ich mir um die Finanzierung meines Studiums in dieser schwierigen Zeit keine Sorgen machen muss, wofür ich sehr dankbar bin.
Für die nächsten Monate wünsche ich mir, dass die Menschen in meinem Umfeld weiterhin gesund bleiben und sich die Pandemiesituation weiter entschärft,