Die Erkenntnis, dass die Embryogenese von Organismen durch Gene gesteuert wird, stellt einen Meilenstein der modernen biologischen Forschung dar. Die Verleihung des Nobelpreises 1995 an Nüsslein-Volhard, Wieshaus und Lewis für die Erforschung der genetischen Entwicklungssteuerung der Drosophila Melanogaster (Fruchtfliege) unterstreicht die Bedeutung dieser Forschungsergebnisse.
Aus dieser Tatsache erwuchs das Interesse, die vorliegenden Prozesse auch quantitativ zu verstehen und möglichst zu modellieren. Als ein mathematisches Modell hierfür wurde ein gekoppeltes System nichtlinearer parabolischer Differentialgleichungen vorgeschlagen. In diesem Modell tauchen die Konzentrationen der einzelnen Gene als Zustandsvariablen auf, welche das System (zumindest theoretisch) vollständig beschreiben. Von besonderem biologischen Interesse sind nun die in dem Differentialgleichungssystem auftauchenden Parameter, denn diese spiegeln die – fördernde wie hemmende – Interaktion der einzelnen Genkonzentrationen sowie die Ausbildung von Strukturen in der Zelle wider. Die Gewinnung dieser Parameter hat sich in der Praxis allerdings als recht schwierig erwiesen.
Dieser Herausforderung stellt sich das Kooperationsprojekt des Zentrums für Technomathematik mit der Universität Marburg im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogrammes SPP 1324. Konkret geht es um die Lösung einer schlecht gestellten, nichtlinearen Operatorgleichung Ax=y, die differenzierbar zwischen Banach-Räumen abbildet. Die Daten y sind im Allgemeinen nicht exakt bekannt, sondern lediglich eine verrauschte Version der Daten. Folglich müssen Regularisierungsmethoden zur Lösung des Problems angewendet werden.
Die Zielsetzung des Projekts sieht vor, hierfür eine Spielart der Tikhonov-Regularisierung zu wählen, bei der die zu identifizierenden Parameter “sparse” rekonstruiert werden. Sparsity bedeutet hierbei, dass die Darstellung des Parameters bezüglich eines Frames oder einer Hilbertraum-Basis dünn besetzt ist. Um den Minimierer des verwendeten Tikhonov-Funktionals numerisch zu gewinnen, wird das iterierte Soft-Shrinkage-Verfahren verwendet. Es muss in jedem Iterationsschritt zum einen die nichtlineare parabolische Differentialgleichung des Modells gelöst werden, d.h. der nichtlineare Operator A ausgewertet werden. Zum anderen muss danach jeweils eine linearisierte, adjungierte parabolische Differentialgleichung gelöst werden, d.h. es muss (A')* ausgewertet werden. Die Lösung des inversen Problems erfordert also zunächst einmal eine eingehende funktionalanalytische Untersuchung des Vorwärtsproblems. Danach muss geprüft werden, inwieweit sich vorhandene Regularisierungsmethoden auf das vorliegende Problem anwenden lassen. Die Bearbeitung dieser Fragen obliegt wesentlich der Bremer Seite der Kooperation.
Aufgrund des Umfangs der zu verarbeitenden Datenmengen, der Kopplung der Systeme sowie der Nichtlinearität ist für die numerische Umsetzung des Regularisierungsverfahrens ein entsprechend effizienter Löser nötig. Für diesen Aspekt des gemeinsamen Projektes soll der in Marburg entwickelte adaptive Wavelet-Löser verwendet werden. In der Vergangenheit wurde eine ähnliche Fragestellung aus dem Bereich der Parameteridentifikation bereits erfolgreich mit diesem numerischen Apparat bearbeitet. In diesem Sinne stellt das vorliegende Projekt zu nichtlinearen Gleichungen aus der Biologie auch eine Fortsetzung der vergangenen Projekte dar. Das entwickelte theoretische und numerische Werkzeug wird also für kompliziertere Problemstellungen weiterentwickelt.