Komplexe adaptive Systeme
Komplexe adaptive Systeme (CAS) bestehen aus Elementen, deren kollektive Dynamik emergente Eigenschaften aufweist. Das heißt, die Wechselwirkungen zwischen den Elementen führen zu neuen Eigenschaften des Systems als Ganzes. Außerdem ändert sich das dynamische Verhalten von CAS in Abhängigkeit von äußeren Einflüssen in einer Weise, die als "Informationsverarbeitung" beschrieben werden kann. Das prominenteste Beispiel für ein CAS ist das Gehirn. Es enthält ein Netzwerk aus vielen nichtlinearen, gekoppelten Elementen, d. h. Neuronen. Die kollektive neuronale Aktivität ermöglicht adaptive Prozesse wie Lernen und Wahrnehmung, die für das menschliche Verhalten elementar sind. Weitere Beispiele für CAS sind die darwinistische Evolution in Netzwerken interagierender Arten sowie ökologische und wirtschaftliche/soziale Netzwerke.
Viele Methoden, die Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen - von einzelnen Elementen bis hin zum effektiven Verhalten ganzer Systeme - ermöglichen, werden von sehr unterschiedlichen CAS genutzt. Hauptschwerpunkte unserer Forschung sind:
- Entwicklung einer Theorie für die Entstehung von Vielfalt in der Evolution
- Verständnis der Entstehung von kollektivem Verhalten und extremen Ereignissen in wirtschaftlichen Systemen
- Aufdeckung der Mechanismen, die zu den besonderen statistischen Eigenschaften der menschlichen Motorsteuerung führen.
Extreme Ereignisse in der adaptiven Kontrolle
Viele komplexe Systeme zeigen kollektive Verhaltensweisen in großem Maßstab. Solche Großereignisse sind von großem Interesse, da sie häufig Krisen wie Naturkatastrophen, soziale Umwälzungen, wirtschaftliche Zusammenbrüche oder das Versagen von technischen Systemen darstellen. Auffallend ist, dass Ereignisse, die um Größenordnungen größer sind als die typischerweise beobachteten, sehr viel häufiger auftreten können, als dies bei Gauß-verteilten Ereignissen zu erwarten wäre. Daher können katastrophale Ereignisse, die nach der klassischen Statistik eine vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit haben sollten, die Dynamik eines Systems dominieren. Solche Systeme weisen oft selbstähnliche Eigenschaften auf, die denen ähneln, die in physikalischen Systemen an kritischen Punkten beobachtet werden, z. B. bei Magneten an der Curie-Temperatur. Solche speziellen statistischen Eigenschaften können Einblicke in die inneren Strukturen komplexer Systeme geben, die sonst nur schwer zu beobachten sind. Wir untersuchen das Auftreten von Extremereignissen in adaptiven Kontrollsystemen.
Menschliche Motorsteuerung
Das Ausbalancieren eines Stocks ist eines der am meisten untersuchten Kontrollprobleme für Ingenieure. Wenn Menschen eine ähnliche Aufgabe ausführen, weist ihr Verhalten Schwankungen auf, die eher an Erdbeben oder Finanzmarktcrashs erinnern als an ein System, das sorgfältig darauf ausgelegt ist, große Schwankungen zu vermeiden. Eine mögliche Erklärung ist die kontinuierliche und schnelle Anpassung. Der Mensch plant seine Bewegungen möglicherweise mit Hilfe von Ad-hoc-Vorhersagen, um lokale Trends, die er beobachtet, zu eliminieren. Wenn sich beispielsweise ein Stock in der gewünschten aufrechten Position befindet, ist es nicht möglich vorherzusagen, wohin der Stock fallen wird, bis er tatsächlich fällt. Dieser Mechanismus führt zu Selbstähnlichkeit in Kontrollsystemen und kann viele Eigenschaften des menschlichen Kontrollverhaltens in psychophysischen Experimenten erklären.
Finanzmärkte
In Wirtschaftstheorien wird häufig davon ausgegangen, dass sich Händler maximal rational verhalten und dass Preisschwankungen die natürliche Folge eines effizienten Ausgleichs von Arbitragemöglichkeiten sind. Das heißt, die Händler nutzen vorhersehbare Preisänderungen und eliminieren damit alles außer zufälligen Schwankungen, die traditionell als gaußförmig angenommen werden. Allerdings kommt es bei den Preisbewegungen häufig zu extremen Ereignissen wie Abstürzen. Außerdem verhalten sich Menschen oft nicht wie ideale Händler. Wir untersuchen die Zusammenhänge zwischen Markteffizienz, Agentenverhalten, Ressourcenumverteilung und Extremereignissen. Unsere Studien umfassen Methoden aus der statistischen Physik, Multi-Agenten-Modelle und Verhaltensexperimente mit Gruppen von interagierenden menschlichen Probanden.
Evolution in ökologischen Netzwerken
Obwohl in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Untersuchungen zur Evolution von Arten und zum Verständnis von Ökosystemen durchgeführt wurden, sind sowohl die Entstehung und Entwicklung von Ökosystemen als auch die beobachtete Artenvielfalt nach wie vor unklar. Um dies zu untersuchen, untersuchen wir ein Populationsmodell mit variablen Interaktionen, die Mutationen unterworfen sind. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sehr einfache Mutationsregeln ausreichen, um ökologische Netzwerke aus nur einer ursprünglichen Art entstehen zu lassen.Ökosysteme haben sich im Laufe vieler Jahrtausende durch die darwinsche Evolution entwickelt. Ökosysteme bestehen aus vielen verschiedenen Arten, die sich gegenseitig durch verschiedene Arten von Wechselwirkungen beeinflussen, z. B. Räuber-Beute-Wechselwirkungen oder Mutualismus. Diese Ökosysteme können als ökologische Netzwerke betrachtet werden, die Arten als Knotenpunkte und Interaktionen als Verbindungen zwischen ihnen enthalten. Berücksichtigt man die Evolution, so weisen die Netzwerke eine komplexe Dynamik auf verschiedenen Zeitskalen auf. Erstens die Populationsdynamik der Arten, die auf einer recht kurzen Zeitskala (~ Tage) abläuft, und zweitens die Dynamik von Mutationen und Selektion, die in der Regel auf einer viel längeren Zeitskala (~ Hunderte von Jahren) abläuft.