Neuronale Dynamiken
Das Gehirn von Säugetieren ist ein hochkomplexes, hierarchisch organisiertes dynamisches System, das Informationen aus der sensorischen Ebene und aus internen Quellen sehr effizient verarbeitet. In verschiedenen Projekten untersuchen wir, wie die besondere Dynamik von Neuronen und neuronalen Schaltkreisen wichtige kognitive Funktionen unterstützt, und wie bestimmte Prinzipien der Informationsverarbeitung spezifische neuronale Mechanismen und Strukturen implizieren.
Unsere Forschung kombiniert Bottom-up- (dynamische Systeme) und Top-down-Ansätze (probabilistische, generative Modelle) und konzentriert sich auf drei Hauptaspekte der neuronalen Dynamik, nämlich die schnelle Informationsverarbeitung mit stochastischen Spikes, die Informationsintegration und Merkmalskombination im visuellen System sowie die Anpassung der Informationsverarbeitung an den Aufgaben- und Reizkontext. Die meisten Projekte werden in enger Zusammenarbeit mit Experimentalphysikern durchgeführt, insbesondere mit dem Labor für menschliche Psychophysik von Manfred Fahle und dem elektrophysiologischen Labor für Affen von Andreas Kreiter.
Kontextuelle Modulation und nicht-klassische rezeptive Felder
Rezeptive Felder (RF) erfassen die grundlegenden Reaktionseigenschaften von Neuronen oder Neuronenpopulationen auf externe Reize und sind für das Verständnis der Informationsverarbeitung im Gehirn von wesentlicher Bedeutung. Normalerweise werden RFs experimentell charakterisiert, indem man eine umgekehrte Korrelation oder einen spike-getriggerten Durchschnitt der neuronalen Antworten durchführt. Diese linearen Methoden enthüllen jedoch nur einen Teil der Reize (den "klassischen" RF, cRF), die die Reaktion eines Neurons auslösen: Darüber hinaus wird die neuronale Aktivität durch kontextuelle Reize außerhalb des cRF stark moduliert, die keinen Einfluss auf die Zelle hätten, wenn sie allein präsentiert würden (nicht-klassische RFs).
Wir untersuchen diese nicht-linearen Reaktionseigenschaften sowohl in realistischen kortikalen Netzwerkmodellen als auch in generativen Modellen. Insbesondere stellen wir fest, dass ncRFs durch einen optimalen Inferenzprozess erklärt werden können, der auf einem verrauschten Stimulus durchgeführt wird. Die Form der ncRFs wird dabei durch die Statistik der natürlichen Szenen bestimmt, die als Stimuli verwendet werden. Die neuronale Dynamik spiegelt einen fortlaufenden Informationsintegrationsprozess wider, bei dem verschiedene Neuronen um die Erklärung eines Teils des Reizes konkurrieren (Zusammenarbeit mit Sophie Deneve).
Integration von Konturen
Bei der Konturintegration handelt es sich um einen kognitiven Prozess, bei dem mehrere, lokalisierte Kantenelemente zu einer globalen Wahrnehmung von Konturen verbunden werden. Sie dient der Erkennung von Kurven und Grenzen von Objekten und ist daher wichtig für die Segmentierung und Interpretation natürlicher Szenen. In verschiedenen Projekten untersuchen wir mutmaßliche neuronale Mechanismen und nützliche Berechnungsstrategien für die Konturintegration.
Unser Ansatz besteht darin, probabilistische, generative Modelle zu verwenden, um sowohl die Konturerzeugung als auch die ideale Konturintegration in einem einzigen theoretischen Rahmen zu erfassen. Die Modellvorhersagen werden in psychophysikalischen Experimenten mit denselben Konturreizen am menschlichen Verhalten getestet (Zusammenarbeit mit Sunita Mandon). Unsere Modelle liefern eine quantitative Beschreibung und eine prägnante funktionale Interpretation der menschlichen Konturintegration und sagen neue Mechanismen voraus, die diesem wichtigen kognitiven Prozess zugrunde liegen.