Basis-Items

  • Hand mit Stift, die einen Fragebogen ausfüllt

    Die Basis-Items sind ein grundlegendes allgemein nutzbares Set aus drei verschiedenen Fragen für die Erfassung von Geschlecht

Das Geschlecht wurde in der epidemiologischen Gesundheitsforschung bisher meistens routinemäßig in Form einer binären Variable erfasst, die Studienteilnehmende in die zwei Kategorien „männlich“ und „weiblich“ unterteilt. In den meisten Fällen bleibt hierbei ungewiss, ob diese Unterscheidung auf biologischen oder sozialen Dimensionen oder einer Kombination aus beidem basiert. Ohne zugehörige Erklärungen müssen Teilnehmende somit selbst entscheiden, auf welcher Dimension von Geschlecht ihre Antwort beruht, was zu Missklassifikation bei den Analysen führen kann (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022). Gleichzeitig wird durch diese Art der Befragung der Teil der Bevölkerung ausgeschlossen, der sich außerhalb dieser statischen, binären Unterteilung in „männlich“ und „weiblich“ bewegt (Döring, 2013; Schellenberg und Kaiser, 2018).

Reihenfolge der Items

Die Reihenfolge und Position der einzelnen Basis Items im Fragebogen ist an die jeweilige Befragung anzupassen. Um Irritationen zu vermeiden, empfehlen wir allerdings die Items direkt nacheinander zu positionieren.

Als Alternative für das beschriebene, binäre (oder seit Änderung des Personenstandgesetzes m/w/d) Item möchten wir in dieser Toolbox ein grundlegendes, allgemein nutzbares Set aus drei verschiedenen Fragen für die Erfassung von Geschlecht in quantitativen Gesundheitsstudien vorstellen, die gemeinsam eingesetzt werden. Abgefragt werden das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht, das Vorliegen der ärztlichen Feststellung der „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ und die selbst empfundene Geschlechtszugehörigkeit.

Die gleichzeitige Abfrage des bei der Geburt zugeordneten Geschlechts und der eigenen Geschlechtszugehörigkeit ermöglicht die präzisere Erfassung von trans* und cis Teilnehmenden (Bauer et al., 2017; Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022; The GenIUSS Group, 2014). Trans* Personen können sich durch die Abfrage der eigenen Geschlechtszugehörigkeit entweder direkt selbst als trans* identifizieren oder durch den Vergleich des Geburtsgeschlechts und der Geschlechtsidentität erkannt werden. Da viele Personen ihre eigene Geschlechtsidentität nicht als trans* beschreiben würden, bietet die zweischrittige Erfassung die Möglichkeit, Teilnehmende als trans* einzuordnen, bei denen beide Angaben nicht übereinstimmen (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022).

Klebezettel und Stifte
© Rudy and Peter Skitterians/ Pixabay

Eine Intergeschlechtlichkeit wird in vielen Fällen erst im Laufe des Lebens und nicht direkt bei der Geburt erkannt und kann somit mit der Frage nach dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht nicht erfasst werden. Auch die Integration der Kategorie „inter*“ in die Abfrage der Geschlechtsidentität birgt Schwierigkeiten: So ist es möglich, dass sich viele Personen mit der ärztlichen Feststellung „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ selbst nicht als „inter*“ identifizieren oder dass sich Personen dieser Kategorie zugehörig fühlen, ohne dass jemals „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ bei ihnen ärztlich festgestellt worden sind (The GenIUSS Group, 2014). Um präzise Informationen zu erhalten, enthält dieses Set der Basis-Items eine Frage nach der medizinischen Diagnose „Varianten der Geschlechtsentwicklung“.

Aktueller Geschlechtseintrag

Langfristig ist es denkbar das Set der Basis-Items um ein viertes Item zum aktuellen Geschlechtseintrag zu ergänzen. Aktuell ist eine Änderung des Geschlechtseintrags mit rechtlichen und finanziellen Barrieren verbunden, die viele Betroffenen von einer Änderung ausschließen. Durch das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) soll dies verändert werden. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.

Zugeordnetes Geschlecht

Das erste Item des Sets von Basis-Items fragt nach dem Geschlechtseintrag, der bei der Geburt in die Geburtsurkunde eingetragen wurde. Dieser Eintrag beruht auf einer kulturell geprägten Bewertung und Einordnung der äußeren Geschlechtsorgane in die vorherrschende gesellschaftliche Geschlechterordnung (Bolte et al., 2021). Hierbei gilt es zu beachten, dass auf der Grundlage der äußeren Erscheinung nur bedingt auf innere Geschlechtsorgane, Chromosomen und auch Hormonkonzentrationen geschlossen werden kann. Der Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde ist somit kein Ersatz für eine detaillierte Erfassung der biologischen Dimensionen von Geschlecht. Da diese allerdings aufwendige medizinische Untersuchungen erfordert, deren Umsetzung in großangelegten Bevölkerungsstudien aufgrund des zeitlichen und finanziellen Ressourcenaufwands kaum möglich ist, wird der Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde in vielen Fällen als Proxy für das biologische Geschlecht herangezogen. Forschende sollten bei dessen Verwendung allerdings berücksichtigen, dass das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht keine vollständige Abbildung aller Attribute ist, die mit dem biologischen Geschlecht in Verbindung stehen. Vielmehr bildet es ab, unter welchem Label des Geschlechtseintrags eine Person sozialisiert wurde (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022).

Zugeordnetes Geschlecht

Welches Geschlecht wurde Ihnen bei der Geburt zugeordnet (Gemeint ist, welches Geschlecht bei der Geburt in Ihre Geburtsurkunde eingetragen wurde)?

     ○ männlich

     ○ weiblich

     ○ divers

     ○ es wurde kein Eintrag gemacht

Innerhalb der verschiedenen deutschsprachigen Länder und im Verlauf der Zeit kann es zu Abweichungen hinsichtlich der Gesetzeslage kommen, die darüber bestimmt, welche Begriffe bei der Geburt in die Geburtsurkunde eingetragen werden dürfen. Bis zu einer Änderung des Personenstandgesetzes im Jahr 2018 war es in Deutschland lange Zeit ausschließlich erlaubt, die Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ in die Geburtsurkunde einzutragen. Seitdem ist es zusätzlich möglich, „divers“ als Geschlecht anzugeben oder den Eintrag frei zu lassen. Änderungen in der Gesetzeslage sollten bei der Verwendung dieses Items beachtet und die Begrifflichkeiten ggf. angepasst werden.

Forschende sollten bei diesem Item ebenfalls beachten, dass bei Studienteilnehmenden, die außerhalb von Deutschland geboren wurden, andere Begriffe in die Geburtsurkunde eingetragen sein könnten. Die angebotenen Antwortkategorien sollten bei Bedarf angepasst werden.

Wir empfehlen es Forschenden bei den angebotenen Kategorien auf Formulierungen wie "etwas anderes" oder "ein anderer Eintrag" zu verzichten, da auf diese Weise eine Gegenüberstellung von einer Norm und deren Anderem entsteht. Betroffene könnten sich von einer solchen Kategorie diskriminiert fühlen. 

Zu unserem Kenntnisstand gibt es aktuell keine allgemeingültigen Empfehlungen zur optimalen Reihenfolge der angebotenen Antwortkategorien. Aus diesem Grund möchten wir Forschende dazu ermutigen verschiedene Möglichkeiten in ihrer Forschung auszuprobieren und die Erfahrungen, die sie dabei machen konnten, mit uns zu teilen.

Intergeschlechtlichkeit

Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung weisen biologische Merkmale auf, die nicht den bisher üblichen binären Kategorien männlich oder weiblich entsprechen. Diese Varianten der Geschlechtsentwicklung können alle Dimensionen des biologischen Geschlechts betreffen und sind sehr heterogen. Da die geschlechtliche Zuordnung von Neugeborenen auf einer visuellen Begutachtung der äußeren Geschlechtsorgane beruht, wird in vielen Fällen eine Intergeschlechtlichkeit erst im Laufe des Lebens und nicht direkt bei der Geburt erkannt (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022). Das Vorliegen von Varianten der Geschlechtsentwicklung kann somit mit dem zuvor vorgestellten Item des bei der Geburt zugeordneten Geschlechts nicht abgebildet werden. Aus diesem Grund enthält das Basis-Item Set eine Frage zum Vorliegen der ärztlichen Feststellung einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“.

Intergeschlechtlichkeit

Wurde bei Ihnen im Laufe Ihres bisherigen Lebens eine "Variante der Geschlechtsentwicklung" ärztlich festgestellt?

     ○ nein

     ○ ja

Der Begriff „Intergeschlechtlichkeit“ wurde von Interessenvertretungen als Selbstbezeichnung gewählt und sollte daher nicht zur Beschreibung einer Diagnose verwendet werden. Dies berücksichtigend verwenden wir in dieser Toolbox den Begriff „Intergeschlechtlichkeit“ um eine Selbstbeschreibung zu kennzeichnen und die Bezeichnung „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ um auf eine ärztliche Feststellung zu verweisen.

Um eine Intergeschlechtlichkeit nicht direkt mit medizinischen Maßnahmen zu verknüpfen, empfehlen wir an dieser Stelle im Fragebogen ausschließlich das Vorliegen der ärztlichen Feststellung von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ zu erfassen. Maßnahmen, die gegebenfalls aufgrund dieser Feststellung ergriffen wurden, sollten, falls für die Fragestellung relevant, zu einem späteren Zeitpunkt im Fragebogen abgefragt werden.

Begriffe wie "Intergeschlechtlichkeit" und "Varianten der Geschlechtsentwicklung" sind möglicherweise nicht allen Befragten bekannt. Forschende sollten daher in Erwägung ziehen gemäß der Möglichkeiten ihrer Befragungsart Erläuterungen anzubieten.

Eigene Geschlechtszugehörigkeit/-identität

Das dritte Fragebogenitem des Basis-Sets erfasst das Geschlecht, mit dem sich die Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Abfrage selbst identifizieren. Die eigene Geschlechtsidentität wird vom biologischen Geschlecht beeinflusst, allerdings nicht von diesem bedingt. Daher ist es notwendig, diese beiden Aspekte voneinander getrennt zu erfassen und für die Teilnehmenden deutlich zu machen, welche Dimension von Geschlecht erfasst wird (Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation et al., 2022). 

Geschlechtszugehörigkeit

Bei manchen Menschen stimmt das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht nicht mit dem Geschlecht überein, mit dem sie sich selbst identifizieren.

Mit welchem Geschlecht identifizieren Sie sich aktuell?

 

Mehrfachantworten sind möglich

     □ weiblich

     □ männlich

     □ trans*

     □ inter*

     □ nicht-binär

     □ agender/ kein Geschlecht

     □ genderfluid

     □ freies Textfeld/ „Meine Identität wurde bei den Antwortmöglichkeiten  nicht berücksichtigt.“

Obwohl sie für die eigene Identität einen großen Stellenwert einnehmen können, sind trans*, inter* oder auch cis nicht die einzigen Gruppen- zuordnungen einer Person. Dies möchten wir in dieser Toolbox kenntlich machen, indem wir, wie auch im Duden beschrieben, anstelle von Bezeichnungen wie „Transmann“ oder „Transfrau“ die Begriffe inter* und trans* als Adjektive verwenden.

Das Zulassen von ausschließlich einer Antwortkategorie vereinfacht die spätere Auswertung und Präsentation der Ergebnisse, ist allerdings mit Limitationen verbunden. In dem von uns vorgeschlagenen Fragebogenitem sind Mehrfachantworten möglich, um deutlich zu machen, dass sich die einzelnen Kategorien nicht gegenseitig ausschließen. Vielmehr kann sich eine Person mit mehreren Kategorien zur gleichen Zeit identifizieren.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Zulassen von Mehrfachantworten bei der Abfrage von Geschlecht noch unüblich und wird daher von den Teilnehmenden nicht erwartet. Wir empfehlen es Forschenden daher die Teilnehmenden durch den deutlichen Hinweis "Mehrfachantworten sind möglich"  auf diese Option aufmerksam zu machen.

Wir haben für dieses Item die Formulierung „Meine Identität wurde bei den Antwortmöglichkeiten nicht berücksichtigt“ gewählt, da dieses bestätigender wirkt als die häufig verwendeten Kategorien „sonstiges“ oder „etwas anderes“, die als ablehnend und abwertend empfunden werden könnten.

Argumente, die für die Verwendung eines freien Textfeldes sprechen:

  • Ein freies Textfeld erlaubt es Teilnehmenden, eine Identität außerhalb einer vorgegebenen Liste von Kategorien zu nennen.
  • Falls Verunsicherung durch die angebotenen Kategorien entstanden ist, können die Teilnehmenden das freie Textfeld nutzen, um ihre eigene Sicht zu nennen. Auf diese Weise können fehlende Antworten und möglicherweise auch Abbrüche der Befragung vermieden werden.
  • Wird ein explorativer Ansatz verfolgt, so kann ein offenes Textfeld dazu genutzt werden, um Wissen zu in der Studienpopulation existierenden Kategorien der Geschlechtsidentität zu generieren.

Argumente, die gegen die Verwendung eines freien Textfeldes sprechen:

  • Um die Antworten aus dem freien Textfeld in eine quantitative Auswertung integrieren zu können, müssen diese zu Kategorien zusammengefasst werden. Es findet also erneut eine Kategorisierung durch das Forschungsteam statt. Hierbei bleibt ungewiss, ob diese Einordnung dem entspricht, wie die Teilnehmenden sich selbst eingeordnet hätten.
  • Ein offenes Textfeld ist in der Auswertung mit zusätzlichem Aufwand für die Forschenden verbunden, da die Antworten zu Kategorien zusammengefasst und dementsprechend codiert werden müssen. Dieser Vorgang kann, wenn überhaupt, nur teilweise automatisiert werden.
  • Die offene Angabe könnte von Teilnehmenden gegebenenfalls als eine Art „Restekategorie“ verstanden und abgelehnt werden.

Das Item zur aktuellen Geschlechtsidentität kann bei Follow-up-Untersuchungen erneut eingesetzt werden, um etwaige Änderungen im Lebensverlauf zu erfassen. Eine alternative Möglichkeit ist es, Teilnehmende danach zu fragen, ob sich ihre Geschlechtszugehörigkeit in einem definierten Zeitraum verändert hat. Ein Beispiel hierfür stammt aus der INGER-Studie im Rahmen von KORA - Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (Kraus et al., 2023). In der INGER-Studie wurde die Frage gestellt „Hat sich Ihre Geschlechtszugehörigkeit im letzten Jahr geändert?“ (Kraus et al., 2023). Bei entsprechender Forschungsfragestellung kann die Frage um eine weitere Spezifizierung ergänzt werden: „wenn ja, wie? _______“.


Zitierte Literatur

Bauer, G.R., Braimoh, J., Scheim, A.I., Dharma, C., 2017. Transgender-inclusive measures of sex/gender for population surveys: Mixed-methods evaluation and recommendations. PLoS ONE 12, e0178043. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0178043

Bolte, G., Jacke, K., Groth, K., Kraus, U., Dandolo, L., Fiedel, L., Debiak, M., Kolossa-Gehring, M., Schneider, A., Palm, K., 2021. Integrating Sex/Gender into Environmental Health Research: Development of a Conceptual Framework. International Journal of Environmental Research and Public Health 18, 12118. https://doi.org/10.3390/ijerph182212118

Committee on Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation, Committee on National Statistics, Division of Behavioral and Social Sciences and Education, National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine, 2022. Measuring Sex, Gender Identity, and Sexual Orientation. National Academies Press, Washington, D.C. https://doi.org/10.17226/26424

Döring, N., 2013. Zur Operationalisierung von Geschlecht im Fragebogen: Probleme und Lösungsansätze aus Sicht von Mess-, Umfrage-, Gender- und Queer-Theorie. GENDER - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2, 94–113.

Kraus, U., Jacke, K., Dandolo, L., Debiak, M., Fichter, S., Groth, K., Kolossa-Gehring, M., Hartig, C., Horstmann, S., Schneider, A., Palm, K., Bolte, G., 2023. Operationalization of a multidimensional sex/gender concept for quantitative environmental health research and implementation in the KORA study: Results of the collaborative research project INGER. Frontiers in Public Health 11, 1128918. https://doi.org/10.3389/fpubh.2023.1128918

Schellenberg, D., Kaiser, A., 2018. The sex/gender distinction: Beyond f and m., in: Travis, C.B., White, J.W., Rutherford, A., Williams, W.S., Cook, S.L., Wyche, K.F. (Eds.), APA Handbook of the Psychology of Women: History, Theory, and Battlegrounds (Vol. 1). American Psychological Association, Washington, pp. 165–187. https://doi.org/10.1037/0000059-009

The GenIUSS Group, 2014. Best practices for Asking Questions to Identify transgender and Other Gender minority respondents on population-based Surveys. The Williams  Institute, Los Angeles, CA.