Problematik der Erhebung von Geschlechterrollenkonformität

In der DIVERGesTOOL-Toolbox sind Items zur Erhebung der Geschlechtsidentität (Basis-Items) und des geschlechtlichen Erscheinungsbildes ( Zusatz-Items) enthalten.

Basierend auf den folgenden Überlegungen haben wir uns bewusst dagegen entschieden innerhalb dieser Toolbox Items zur Abfrage von Ge- schlechterrollen vorzustellen. Vielmehr folgen wir der Empfehlung von Schellenberg und Kaiser (2018). Diese fordern in ihrem Buchbeitrag „The Sex/Gender Distinction: Beyond F and M“ Forschende dazu auf, die Aspekte abzufragen, an denen sie in ihrer jeweiligen Studie konkret interessiert sind, und des Weiteren nicht auf der Basis der Zugehörigkeit zu bestimmten Geschlechtergruppen vorab stereotyp bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen für eine Person anzunehmen („Say it like it is“).

Verschiedene Fragebogeninstrumente wurden in der Vergangenheit entwickelt, um Geschlechterrollenkonformität zu erfassen. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist der Bem Sex Role Inventory (BSRI), der zwar schon in den 1970er Jahren entwickelt wurde, aber dennoch bis heute häufig verwendet wird (siehe Horstmann et al., 2022). Im BSRI sowie in ähnlichen Erhebungsinstrumenten wird die Konformität der Teilnehmenden mit Konzepten zur Maskulinität und Femininität messbar gemacht. Hierzu werden bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen erfragt. So wird beispielsweise erfasst, wie kinderlieb oder risikofreudig eine Person ist. Hierbei steht in einem stereotypen Geschlechterkonzept die Eigenschaft kinderlieb zu sein als ein Ausdruck von weiblicher Geschlechterrolle, Risikofreude hingegen als Ausdruck für eine männliche Geschlechterrolle.

Viele gesundheitsrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen sind auch heute noch stark geschlechtlich konnotiert, z.B. werden ein hoher Alkoholkonsum und schnelles Autofahren als klassische männliche Verhaltensweisen angesehen. In verschiedenen Gesellschaften und auch in den verschiedenen Milieus innerhalb einer Gesellschaft existieren aber z.T. sehr unterschiedliche Geschlechterrollenvorstellungen. Gleichzeitig unterliegen diese Vorstellungen im Zeitverlauf einem historischen Wandel (Beischel et al., 2021; Döring, 2013). Eine hohe Belastung durch Haushaltstätigkeiten und Kinderversorgung oder ein hohes Maß an Konkurrenzorientierung und Risikofreude können wesentliche Einflussfaktoren für die Entstehung von Erkrankungen sein. Es ist kontextabhängig, ob diese Tätigkeiten und damit verbundene Belastungen in der Bevölkerung bei einem Geschlecht häufiger oder seltener sind. Daher handelt es sich nicht eindeutig um einen Ausdruck von Geschlecht auf der individuellen Ebene. Die Verknüpfung einer weiblichen Geschlechtsidentität und einer hohen Belastung mit reproduktiven Haushaltsaufgaben und Pflegeverantwortung kann in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld und einem bestimmten zeitlichen Rahmen zutreffen, in einem anderen Umfeld oder zeitlichen Zusammenhang jedoch nicht. Daher sollte die stereotype Verknüpfung von Weiblichkeit mit Kinderliebe und Fürsorglichkeit nicht im Vorhinein als gegeben angenommen werden.

Daher sollte bei der Formulierung von Items für Fragebögen darauf geachtet werden, geschlechterstereotype Konnotierungen nicht zu reproduzieren und dadurch möglicherweise zu verfestigen bzw. die eigene Wahrnehmung von Zusammenhängen damit einzuschränken.


Zitierte Literatur

Beischel, W.J., Schudson, Z.C., van Anders, S.M., 2021. Visualizing gender/sex diversity via sexual configurations theory. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity 8, 1–13. https://doi.org/10.1037/sgd0000449

Döring, N., 2013. Zur Operationalisierung von Geschlecht im Fragebogen: Probleme und Lösungsansätze aus Sicht von Mess-, Umfrage-, Gender- und Queer-Theorie. GENDER - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2, 94–113.

Horstmann, S., Schmechel, C., Palm, K., Oertelt-Prigione, S., Bolte, G., 2022. The Operationalisation of Sex and Gender in Quantitative Health–Related Research: A Scoping Review. International Journal of Environmental Research and Public Health 19, 7493. https://doi.org/10.3390/ijerph19127493

Schellenberg, D., Kaiser, A., 2018. The sex/gender distinction: Beyond f and m., in: Travis, C.B., White, J.W., Rutherford, A., Williams, W.S., Cook, S.L., Wyche, K.F. (Eds.), APA Handbook of the Psychology of Women: History, Theory, and Battlegrounds (Vol. 1). American Psychological Association, Washington, pp. 165–187. https://doi.org/10.1037/0000059-009