Asexuelles Spektrum/Asexualität
Der Begriff Asexualität beschreibt das Nicht-Vorhandensein sexueller Anziehung gegenüber anderen. Dies ist zu differenzieren vom temporären Fehlen sexueller Lust, verursacht durch bestimmte Lebensereignisse, oder das bewusste Verzichten auf sexuelle Kontakte, obwohl sexuelle Anziehung empfunden wird (Bogaert, 2015).
Split Attraction Model
Das Split Attraction Model besagt, dass romantische Anziehung von der sexuellen Anziehung losgelöst ist. Menschen, die keine sexuelle Anziehung empfinden, können sich beispielsweise romantische Beziehungen wünschen. Eine solche Divergenz der sexuellen und romantischen Anziehung voneinander ist nicht exklusiv bei asexuellen Menschen zu finden, die Trennung der beiden Konzepte ist allerdings in der asexuellen Community präsenter (Bogaert, 2015).
Asexualität wird als Spektrum betrachtet. Es gibt somit nicht nur die zwei Kategorien: „sexuelle Anziehung ist vorhanden“ und „sexuelle Anziehung ist nicht vorhanden“, sondern verschiedene Abstufungen genereller sexueller Anziehung. Als zwei gängige Begriffe haben sich in diesem Kontext Grausexualität und Demisexualität etabliert. Unter die Kategorie der Grausexualität fallen die Personen, die im geringen Maße sexuelle Anziehung empfinden. Als demisexuell beschreiben sich die Personen, die zunächst eine emotionale Verbindung benötigen, um sich zu einer anderen Person sexuell hingezogen zu fühlen (Profus, 2016).
In der aktuellen Literatur wird das Konzept der Asexualität kontrovers diskutiert. Hierbei bleibt es eine umstrittene Frage, ob Asexualität als eigenständige sexuelle Orientierung einzuschätzen ist (Cerwenka and Brunner, 2018). Wir möchten Forschende dazu ermutigen sie als Kategorie in ihre Abfragen zu integrieren, um langfristig mehr Sichtbarkeit für diese, in der Gesundheitsforschung bisher wenig berücksichtigte Gruppe zu erreichen.
Es gilt, dass sexuelle Attraktion, sexuelle Identität und das sexuelle Verhalten nicht kongruent sein müssen. Viele asexuelle Personen haben bereits sexuelle Erfahrungen gemacht, leben in Partner*innenschaften und gründen Familien (Bogaert, 2015; Profus, 2016). Menschen, die keine sexuelle Anziehung zu anderen empfinden, können trotzdem eine romantische Beziehung anstreben (Split Attraction Model), während andere auch keine romantische Anziehung empfinden (Aromantik). Dies zeigt, dass auch zwischen asexuellen Personen eine große Heterogenität besteht. Es sollte hier nicht von vorneherein aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien auf spezifische Bedürfnisse und Erfahrungen geschlossen werden.
Auch zeigt sich an dieser Stelle die Notwendigkeit, es Teilnehmenden zu ermöglichen, Kombinationen aus verschiedenen sexuellen Identitäten anzugeben. Eine weibliche befragte Person kann sich beispielsweise selbst als asexuell definieren und sich in den seltenen Fällen, in denen sie sexuelle Anziehung zu einer anderen Person empfindet, zu anderen Frauen hingezogen fühlen. Diese Teilnehmerin könnte sich selbst als lesbisch und asexuell identifizieren.
Weitere Informationen und Beispiele für Fragebogenitems finden sich beispielsweise auf der Website des ACE Community Surveys. Diese jährlich online stattfindende Umfrage zielt darauf ab Informationen über asexuelle Menschen weltweit zu sammeln: https://acecommunitysurvey.org/. Der Fragebogen wird in vielen verschiedenen Sprachen und auch in einer deutschen Übersetzung bereitgestellt (Hermann et al., 2022).
Bogaert, A.F., 2015. Asexuality: What It Is and Why It Matters. The Journal of Sex Research 52, 362–379. https://doi.org/10.1080/00224499.2015.1015713
Cerwenka, S., Brunner, F., 2018. Sexuelle Identität, sexuelle Attraktion und sexuelles Verhalten – Dimensionen sexueller Orientierungen in der Survey-Forschung. Zeitschrift für Sexualforschung 31, 277–294. https://doi.org/10.1055/a-0664-4764
Hermann, L., Baba, A., Montagner, D., Parker, R., Smiga, J.A., Tomaskovic-Moore, S., Walfrand, A., Miller, A.L., Weis, R., Bauer, C., Campos, A., Jackson, E., Johnston, M., Khan, S., Lutz, G., Nguyen, H., Niederhoff, T., van der Biezen, T., Ventresca, C., Volvoredra, 2022. 2020 ace community survey summary report. The Ace Community Survey Team.
Profus, A., 2016. Unsichtbares sichtbarmachen. Asexualität als sexuelle Orientierung, in: Katzer, M., Heinz-Jürgen, V. (Eds.), Geschlechtliche, Sexuelle Und Reproduktive Selbstbestimmung. Psychosozial-Verlag, pp. 225–242.