DifBerBil (Dissertationsprojekt)
Differenzmarkierende Praktiken im institutionellen Kontext beruflicher Bildung
Wie die Berufsbildungsforschung zeigt, gelingt einer beachtlichen Anzahl an Jugendlichen kein direkter Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine vollqualifizierende Ausbildung. Der Übergangsbereich, der diverse berufsvorbereitende Maßnahmen und Bildungsgänge umfasst, fungiert als „Zwischenstation“ für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Im Jahr 2019 mündeten circa 255.000 junge Menschen in Deutschland in das Übergangssystem (Berufsbildungsbericht 2020). In besonderem Maße sind Jugendliche und junge Erwachsene mit einem sogenannten Migrationshintergrund von Zugangsschwierigkeiten in das Ausbildungssystem betroffen. Sie sind vor allem im Bereich der dualen Berufsausbildung weiterhin stark unterrepräsentiert und im Übergangssystem stark überrepräsentiert. Geflüchtete Jugendliche, die unter der Bedingung eines unsicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, sind in diesem Zusammenhang eine Gruppe, die den Übergang in Ausbildung zusätzlich unter besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen zu bewältigen hat.
Grundlegende Annahme und empirisch belegte Basis des Projekts ist, dass es sich bei geflüchteten Jugendlichen und Erwachsenen, unabhängig von der Art oder spezifischen Überschneidung der als benachteiligend geltenden Differenzlinien, um Heranwachsende in sehr heterogenen Lebenslagen und Lebenswelten handelt. Gleichwohl, dies zeigen insbesondere qualitative Studien, sind als migrantisch markierte junge Menschen in Bildungsinstitutionen Homogenisierungsprozessen ausgesetzt, durch welche sie als besondere 'Risikogruppe' bzw. 'Problemgruppe' erscheinen und damit häufig auch ähnliche Ausschlusserfahrungen machen.
Das Erkenntnisinteresse des Projekts liegt vor diesem Hintergrund auf der Frage nach differenzmarkierenden Praktiken im institutionellen Kontext beruflicher Bildung in Deutschland. Unter einer machtkritischen erziehungswissenschaftlichen Perspektive werden Differenzen dabei als zeitlich und räumlich bedingte Resultate von machtvollen Unterscheidungspraktiken gefasst, die auch im Rahmen der Berufsvorbereitung sowie der dualen Ausbildung wirkmächtig sind. Im (berufs)pädagogischen Kontext ermöglicht die Perspektive auf Praktiken der Herstellung von Differenz den Blick auf symbolische Grenzziehungen und damit verbundene Ein- und Ausschlüsse in berufliche Bildungsprozesse.
Die theoretische Rahmung des Projekts bietet das Konzept der „Gouvernementalité“ von Michel Foucault, das als Weiterentwicklung seiner Machtanalytik früherer Jahre unter anderem die Prozesse der Herausbildung moderner Staatlichkeit und moderner Subjektivität in den Blick nimmt. Ergänzt werden Foucaults Ausführungen durch weitere poststrukturalistische Ansätze, die sich kritisch mit dem Verhältnis von sprachlicher Praxis und sozialer Wirklichkeit auseinandersetzen.
Empirische Grundlage des Projekts sind Interviews mit Ausbilder*innen im dualen Ausbildungssystem und Interviews mit geflüchteten Jugendlichen, die eine berufsvorbereitende Maßnahme im sogenannten Übergangssystem absolvieren oder bereits Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr sind. Als Analyseinstrument zur Auswertung der erhobenen Interviewdaten dient das Kodier-Verfahren nach Strauss und Corbin (1996). Ziel ist es im Sinne der Grounded Theory Methodologie eine Theorie zu generieren, die sich induktiv, auf Basis der im Feld gewonnenen Daten entwickelt.
Projektleitung: Lisa Vogt