Die Legitimitätspolitik bewaffneter Gruppen
Bewaffnete Gruppen wie die Taliban, al-Shabaab oder der IS sind zentrale Akteure in den Kriegen der Gegenwart, die für massive Gewalt gegen Zivilisten wie auch für den Zerfall von Staaten verantwortlich gemacht werden. Nicht selten werden diese Gruppen als Kriminelle oder Terroristen charakterisiert, für die es keine Rolle spielt, ob ihre Ziele und Handlungen als legitim wahrgenommen werden oder nicht. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise, dass bewaffnete Gruppen nach Legitimität in der internationalen Politik streben und dort auch Anerkennungseffekte hervorrufen. Das Projekt geht davon aus, dass bewaffnete Gruppen internationale „Legitimitätspolitik“ betreiben, die darauf abzielt, als legitimer politischer Akteur anerkannt zu werden. Ziel des Projektes ist es, Mechanismen der Legitimitätspolitik bewaffneter Gruppen zu entwickeln und in empirischen Fallstudien zu überprüfen. Dabei geht das Projekt von folgender Leitfrage aus: Wie legitimieren sich bewaffnete Gruppen und mit welchen sozialen Mechanismen erzielen sie Anerkennungseffekte in der internationalen Politik?
Das Projekt ist in drei Phasen gegliedert: In einer ersten konzeptionellen Phase soll ein theoretischer Bezugsrahmen angelegt werden, mit dessen Hilfe plausible Mechanismen der Legitimitätspolitik entwickelt und hinsichtlich ihrer historischen Kontextbedingungen spezifiziert werden. Dabei unterscheiden wir drei welthistorische Zeiten: die Dekolonisation, den Kalten Krieg und die humanitäre Intervention. In einer zweiten theoriegeleiteten Phase sollen diese Mechanismen anhand von vier Fällen (West-Sahara, Syrien, Afghanistan, Uganda) in Prozessanalysen empirisch überprüft werden. In einer dritten Phase soll ein erweitertes Sample erarbeitet werden, um auf der Grundlage einer größeren Fallzahl den Geltungsbereich der Erklärung näher zu bestimmen und der regionalen und zeitlichen Varianz der Legitimitätspolitik Rechnung zu tragen.
In theoretischer Hinsicht verspricht das Projekt einen Beitrag zur politischen Soziologie bewaffneter Gruppen als Akteure der internationalen Politik. In Bezug auf den empirischen Ertrag liefert das Vorhaben Erkenntnisse über legitimierende Ideen und Aktionsformen nicht-staatlicher Gewaltakteure. Methodisch nimmt das Projekt mit dem Fokus auf Mechanismen und Prozessanalysen Impulse aus der neueren Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften auf. Das Projekt verspricht auch in friedenspolitischer Hinsicht einen Beitrag, denn Erkenntnisse über das Streben bewaffneter Gruppen nach Legitimität erlauben es internationalen Akteuren, auf die politischen Ansprüche dieser Gruppen gezielter zu reagieren.
Projektmitglieder
Ahmed Elsayed, Stephan Hensell, Klaus Schlichte
Projektrelevante Publikationen
Elsayed, Ahmed, 2023: From the Mountains to the Élysée: The Precarious International Legitimacy of the Syrian Kurdish YPG and PYD. In: The Middle East Journal 77 (1), 53-77.
Hensell, Stephan; Schlichte, Klaus, 2021: The Historical Mapping of Armed Groups' Recognition, in: Geis, Anna/Clément, Maéva/Pfeifer, Hanna (Hg.), Armed Non-state Actors and the Politics of Recognition, Manchester: Manchester University Press, S. 30 - 46.