Sommersemester 2020: Total digital!

GW1-Hörsaal der Universität Bremen
Der Probenraum von Orchester & Chor der Universität Bremen: der GW1-Hörsaal an der Universitätsallee

Was eigentlich geplant gewesen war...

Eigentlich war mit dem Orchester eine Kooperation mit SymfUni, Københavns Universitets Symfoniorkester, mit gegenseitigen Besuchen und gemeinsamen Konzerten in Bremen und Kopenhagen geplant gewesen. Die gemeinsamen Konzerte hätten am 25. April um 20 Uhr im GW1-Hörsaal der Universität Bremen und am 23. Mai in "Festsalen" der Universität Kopenhagen stattfinden sollen. Dazu wäre das Orchester der Universität über Himmelfahrt nach Kopenhagen gereist.

Damit das Orchester bereits zu diesem frühen Zeitpunkt im Semester konzertbereit gewesen wäre, war die Probenphase des Sommersemesters vorgezogen worden und die Proben hatten schon am  5. Februar 2020 begonnen. Auf dem Programm stand Anton Bruckners Sinfonie in d-Moll WAB 100 ("Nullte"). Seitdem war wöchentlich geprobt worden. Leider war dann die Probe am 11. März die vorerst letzte Probe. Das geplante Konzert in Bremen und die Konzertreise nach Kopenhagen konnten wegen der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden und mussten - zumindest für das Sommersemester 2020 - abgesagt und rückabgewickelt werden. 

Mit dem Chor war vorgesehen gewesen, in der ersten Hälfte des Semesters im April und Mai zur Vorbereitung einer Kooperation mit der University of Namibia 2021 mit dem Einstudieren eines Programms mit internationalen Liedern unter dem Titel "Simple songs - simply songs" zu beginnen. 

Danach, ab Anfang Juni, hätten beide Ensembles mit der Vorbereitung von Benjamin Brittens "War Requiem" begonnen, dessen Aufführung im Bremer Dom gemeinsam mit dem Mädchenchor des Bremer Doms für Februar 2021 geplant gewesen war. Da das Werk anspruchsvoll ist, hätte bereits die zweite Hälfte des Sommersemesters 2020 für die Proben genutzt werden müssen. Als das nicht möglich war, musste leider auch die geplante Aufführung am 7. Februar 2021 im Dom abgesagt werden. 

Stattdessen: Ausprobieren der Möglichkeiten und Grenzen von Orchesterspielen und Chorsingen via Computer

Ende März und Anfang April 2020 wurde klar, dass wegen der COVID-19-Pandemie im Sommersemester 2020 keine Live-Proben mit Orchester & Chor würden stattfinden können und alle Planungen hinfällig waren. Die Frage war: Gibt es eine Möglichkeit, trotzdem miteinander Musik zu machen, zum Beispiel mit Hilfe des Computers?

Orchesterspielen und Chorsingen leben davon, dass die vielen Mitwirkenden ihre Töne nicht absolut gesehen richtig spielen, sondern permanent darauf reagieren, was sie von den anderen Chor- bzw. Orchestermitgliedern hören und dann in Relation dazu singen, spielen und gestalten.

Der berühmte Dirigent Claudio Abbado hat gesagt: "Viele Menschen lernen zu sprechen, aber sie lernen nicht zuzuhören. Das Sich-Gegenseitig-Zuhören ist eine ganz wichtige Sache im Leben. Und die Musik lehrt genau das."

Rein technisch war gerade das Sich-Gegenseitig-Zuhören beim Musikmachen via Computer im Frühjahr 2020 noch nicht umsetzbar. Denn es war zwar möglich, per Computer Signale zu senden und zu empfangen, aber die leichten Verzögerungen bei der Übertragung der akustischen Signale (Latenz) konnten sich noch nicht so reduzieren lassen, dass an den Endgeräten bis zu 85 Mitwirkende punktgenau gleichzeitig via Computer miteinander singen und spielen konnten. 

Orchester & Chor haben im Sommersemester ausprobiert, was an Orchesterspielen und Chorsingen via Computer trotzdem möglich war und was nicht. Auf jeden Fall sind die Mitglieder beider Ensembles durch die wöchentlichen Treffen via Videokonferenz in Kontakt geblieben, haben ihr Verständnis für Technik verbessert, haben Musik gemacht und haben sich durch die Selbstkontrolle beim Aufnehmen teilweise individuell musikalisch weiterentwickelt. Und am Ende standen zwar keine Konzerte, aber doch - im Chor - persönliche sängerische Fortschritte und eine Repertoireerweiterung sowie - im Orchester - zusätzlich spannende Produkte: ein Lautsprecherorchester und eine Video-Sound-Collage.

Kulturkirche St. Stephani in Bremen mit Lautsprechern
Lautsprecherorchester in der Kulturkirche

Orchester

Die Mitglieder des Orchesters haben eine orchestrale Sound-Collage und außerdem eine Video-Sound-Collage am Beispiel von Maurice Ravels Boléro erstellt. 

Zwischenbericht vom 5. Mai 2020: Das Orchester hat Ravels Boléro in 4 Abschnitte unterteilt; ungefähr die Hälfte der Orchestermitglieder hat ihre Stimme im ersten Abschnitt individuell zu Hause schon eingespielt und die am Computer teilweise bereits zusammengesetzte Summe der Live-Einzelaufnahmen beginnt, nach Ravels Boléro zu klingen. 

Zwischenbericht am 26. Juni 2020: Die Audio-Aufnahme ist fertig. Sie wird vom 27. Juni - 18. Juli 2020 insgesamt 21mal in einer ganz besonderen Weise live zu erleben sein: als Teil einer Installation aus einem in der Kulturkirche St. Stephani aufgebauten Lautsprecherorchester mit 34 Lautsprechern: 

Abschlussbericht am 21. Juli 2020: Das Lautsprecherorchester ist abgebaut worden. Insgesamt ca. 300 Menschen haben den Boléro so gehört. Dieses Projekt, das aus der Not geboren wurde, hat damit ein ganz neues Erleben von Ravels Boléro ermöglicht. Das Orchester der Universität Bremen dankt insbesondere Gerd Anders für die Idee und die Umsetzung, Simon Knobbe und Eve-Marie Hadamovsky für die tatkräftige Unterstützung sowie dem Team der Kulturkirche und vor allem dem Musikdirektor Tim Günther für die Gastfreundschaft!

Seit dem 8. Juli 2020 kann die Sound-Collage von Maurice Ravels Boléro auch noch in ganz anderer Form erlebt werden, nämlich als Audio-Spur der Video-Sound-Collage, die das Orchester als zweites Produkt zusätzlich noch erstellt hat. Diese Video-Sound-Collage (siehe folgende Box) steht auf YouTube und ist vom Senator für Kultur in Bremen zusammen mit dem Bericht über das Lautsprecherorchester auf die Seite "Kultur trotz Corona" aufgenommen worden: https://www.kultur.bremen.de/startseite/kultur_trotz_corona/kultur_digital___musik-17438 . 

Maurice Ravels Boléro als Video-Sound-Collage

Das Orchester der Universität Bremen hat im Sommersemester 2020 eine Video-Sound-Collage von Maurice Ravels Boléro produziert. Alle Orchestermitglieder haben in den Monaten Mai und Juni zu Hause einzeln abschnittsweise nach und nach ihre Stimmen eingespielt und aufgenommen. Erst am Computer sind die Stimmen dann fortlaufend von Gerd Anders und Simon Knobbe zusammengesetzt worden. Sobald neue Stimmen eingebaut waren, erhielten die nächsten Orchestermitglieder das jeweilige Zwischenprodukt, um wiederum ihre Stimmen dazu aufzunehmen. Zusätzlich zur Ton- und Videoaufnahme der Musik von Ravels Boléro haben die Orchestermitglieder persönliche Bilder und kurze Videos aus ihrem jeweiligen Studienfach oder Beruf beigesteuert.

Chor

Chorprobe draußen
Erste Chorprobe mit der Pavane "Belle qui tiens ma vie" live und draußen am 29.6.2020. Carla Linné (im schwarzen Gehrock) coacht Chormitglieder bei der Reverenz, Susanne Gläß (im rosé Pullover) sieht zu.

"Simple songs - simply songs"
Zwischenbericht am 28. Juni 2020: Beim ersten Treffen via Zoom war mit der Erarbeitung von zwei Liedern begonnen worden, wovon sich eins als rhythmisch zu komplex für diese Form der Erarbeitung erwies. Bewährt hat sich dagegen das französische Liebes- und Tanzlied "Belle qui tiens ma vie", eine Pavane, an der seitdem weitergearbeitet wird. Die Chormitglieder haben eine Strophe nach der anderen zu Hause eingesungen, immer zuerst ein Bass, dann die anderen Bässe dazu, dann wiederum dazu ein Tenor, dann die anderen Tenöre dazu, etc. Inzwischen ist der Chor bei der sechsten von insgesamt sieben Strophen angelangt.

Abschlussbericht am 20. Juli 2020: Inzwischen konnte der Chor unter Beachtung der Hygieneregeln dreimal live und draußen auf der gepflasterten Fläche vor dem GW1-Hörsaalgebäude proben. Dabei war Carla Linné, Dozentin an der HfK Bremen für historischen Tanz, zu Gast und hat den Chor den Grundschritt der Pavane gelehrt. Die Pavane war in der Renaissance ein sehr beliebter Schreit-Tanz. (Noten in moderner Umschrift stehen hier; die historische Quelle kann hier eingesehen werden.) Mit Unterstützung durch das Orchestermitglied Carlo Arosio, der den Rhythmus auf dem Tambourin spielte, konnte der Chor alle sieben Strophen von "Belle, qui tiens ma vie" auswendig singen und sich dabei gleichzeitig würdevoll und gemessen im Pavaneschritt bewegen.