Wintersemester 2018/19: Michael Tippetts "A Child of Our Time"
Zu Michael Tippetts "A Child of Our Time"
Der Brite Michael Tippett hat sein nachdenkliches und ergreifendes Oratorium für Chor, Orchester und Solostimmen in den Jahren 1939 bis 1941 komponiert. Der Titel - deutsch: „Ein Kind unserer Zeit“ - bezieht sich auf die Person des 17jährigen jüdischen Jungen Herschel Grynszpan, der im November 1938 in Paris ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat Ernst vom Rath verübt hat, das die Nazis zum Anlass nahmen für die Pogrome gegen die jüdische deutsche Bevölkerung, die „Reichskristallnacht“. Tippett hatte im britischen Ausland durch die Medien von dem Attentat und den Pogromen erfahren und reagierte darauf unmittelbar mit der Komposition dieses Oratoriums. Er reflektiert die Hintergründe und Motive von Grynszpans Tat und ihre Konsequenzen. Tippett war entschiedener Pazifist. Deshalb betrachtet er die Pogrome mit Abscheu, steht aber auch dem Attentat von Herschel Grynszpan kritisch gegenüber. Die sich eröffnenden Abgründe lotet er sowohl in der Musik als auch im von ihm selbst verfassten Libretto mit Rückbezügen auf C. G. Jung und T. S. Eliot aus. Dabei eröffnet er Perspektiven auf Erfahrungen von Verfolgung, Ausgrenzung und Terror, die weit über den konkreten Gegenstand des Werkes hinausweisen und dem Werk eine überzeitliche Gültigkeit und leider auch eine ganz aktuelle Dimension verleihen.
Tippett hat sich für sein Oratorium in der Melodieführung von englischer mehrstimmiger Renaissancemusik inspirieren lassen, die durch ihre Kopplung mit kompositorischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts plötzlich fremd und neu klingt. In der musikalischen Form hat er sich an die barocken Vorbilder von Händels „Messias“ und J.S. Bachs Johannes- und Matthäuspassion angelehnt: Die dreiteilige Großform stammt aus dem „Messias“, innerhalb der Teile finden sich formale Entsprechungen zu Bachs erzählenden Rezitativen, zu den betrachtenden Arien, zu den dramatischen Chören und zu den Chorälen. An die Stelle der Choräle in den Bach‘schen Passionen hat Tippett fünf schlichte, jedoch darum umso bewegendere Spirituals gesetzt. Daneben finden sich aber auch Anklänge an Weills Dreigroschenoper und an die dramatischen Szenen im Operngenre. Die Musik klingt in der Tonsprache modern; sie ist in gewisser Weise verwandt mit der Musik seines Freundes Benjamin Britten. Sie hat eine innere Logik, die alle, die sich darauf einlassen, intuitiv mitnimmt in die dunklen Untiefen des Menschseins, in die die Musik tiefer vordringen kann als alle Worte.
Seminar, Einführungsvortrag, Programmheft, Medien und Dank
Die Aufführung durch Orchester & Chor der Universität wurde durch ein Seminar begleitet, das das Programmheft verfasst und das Bildmotiv für die Plakate, Postkarten, das Programmheft und den Aufsteller (siehe Bild links) ausgewählt hat. Die Teilnehmenden des Seminars haben außerdem am 19. Januar 2019 um 11 Uhr gemeinsam mit Dr. Susanne Gläß einen öffentlichen Einführungsvortrag zum Konzert im Haus der Wissenschaft/Sandstr. gehalten.
In den Medien ist das Konzert vorab breit angekündigt worden. Neben einem Vorbericht von Iris Hetscher im Weser-Kurier (21.1.2019) hat unter anderem die Pressestelle der Universität eigens einen Videoclip produziert: Videoclip mit O-Tönen von der Pressestelle der Universität.
Orchester & Chor danken der Karin und Uwe Hollweg Stiftung und dem Förderverein Universitätsmusik für die großzügige Unterstützung des Projekts und Jens Block für die Leihe des Kontrafagotts!
Werktitel, Ausführende und Konzertdatum
Michael Tippett: „A Child of Our Time“
Ausführende
Anja Petersen/Sopran
Kerstin Stöcker/Alt
Clemens Löschmann/Tenor
Martin Kronthaler/Bass
Orchester & Chor der Universität Bremen
Susanne Gläß/Dirigentin
Konzertmeisterin: Victoria Kürzinger
Korrepetition Chorproben: Stefanie Adler
Stimmbildung Chor: Nils Roese
Konzert
Sonntag, 27. Januar 2019, 19 Uhr, Bremer Dom
Die Aufführung am 27. Januar 2019 war bereits die zweite Aufführung von Tippetts "A Child of Our Time" durch Orchester & Chor der Universität Bremen. Die erste Aufführung fand genau 10 Jahre zuvor, am 27. Januar 2009 statt.