Philosophie des Tanzens
Der Tanz gewährt unmittelbar Zugang zur Wirklichkeit. Trotzdem kommt er in der Philosophie kaum zur Sprache. Obwohl das Augenmerk vor allen Dingen auf dem Erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, liegt. Dabei vollzieht das philosophische Denken förmlich einen „Spagat“.
Deshalb will dieses Projekt zeigen, dass das Tanzen mit dem Denken, insbesondere mit einem philosophischen, mehr zu tun hat als uns auffällt und bewusst ist. Dazu muss die Dissonanz aufgelöst werden, die entsteht, wenn sich das philosophische Verständnis bei so zentralen Begriffen wie Denken, Vernunft oder Logos allein auf geistig-intellektuelle Tätigkeiten beschränkt. Unterdessen wird untersucht, ob sich die Wirklichkeit nach den Paradigmen des Tanzes entfaltet und begreifen lässt. Schließlich stellt sich mit Rückgriff auf Heraklit, Hegel, Nietzsche und Bloch sowie aus Ansätzen der Phänomenologie heraus, dass weder der Logos, die Vernunft noch das Denken reine Tätigkeiten des Geistes sind. Vielmehr sind sie Angelegenheiten des ganzen Leibes, der Welt und unserer Wirklichkeit. Hiermit begegnen wir einer dynamischen Weltsicht, die in vielerlei Hinsicht mit unserem alltäglich-zeitlichen Erleben sowie unserer Empfindung mit der Welt übereinstimmt. Beispielsweise nehmen wir unser Leben nicht als eine Aneinanderreihung von Ereignissen wahr, sondern zusammenhängend und als Kontinuität. Trotzdem würden wir uns als Erwachsene in der Regel wohl kaum noch mit dem Ich identifizieren, das als Kind seine Sandkastenliebe heiraten wollte.
Mit Heraklit lässt sich die Beschaffenheit dieser ambivalenten Weltverhältnisse als Einheit von Gegensätzen verstehen. Dabei entspricht sein Logos-Verständnis den musischen Grundstrukturen des Tanzes, wie sich spätestens mit seiner Harmonielehre und dem altgriechischen Rhythmusverfahren zeigen lässt. Mit einer Philosophie des Tanzes kann also sichtbar werden, dass sich diese Gegensätze nicht strikt ausschließen. Vielmehr nehmen sie gleichermaßen an Prozessen vom Werden und Vergehen teil und prägen die Wurzel unserer Wirklichkeit - worauf bereits Bloch mit seinem Prinzip Hoffnung oder seiner Ontologie-des-Noch-Nicht-Seins hinweist. Denn die Struktur der Hoffnung begründet er nicht bloß als ein ontologisches Primat. Vielmehr kann sie mittels eines materiellen Logos gelernt werden. Dabei richtet sich das Werden perspektivisch auf das real-Mögliche mit dem Ziel auf ein gelingendes Leben und einer humaneren Gesellschaft. Bereits Hegels Dialektik legt dazu das entsprechende Fundament vor, indem er der Bewegung vom Denken nachgeht. Hieraus folgt eine aus sich immer anreichernde Logik, die die Wirklichkeit macht und sich sozusagen mit jedem weiteren Atemzug erst noch entfaltet. Wenngleich für Hegel das ontologische Primat im Geist liegt, so kommt sein Denken auch nicht ohne ein leiblich-begriffenes Ich vorwärts. Letztlich sind Logos und Wirklichkeit keine Getrennten, sondern Unterschiedene und eine Einheit.
Diese dynamischen Weltanschauungen lassen sich also anhand des Tanzes exemplarisch aufschlüsseln und darüber hinaus verkörpert erfahrbar machen. Der Tanz entfaltet sich nämlich durch die Zugleichheit von Gegensätzen. Schließlich begrenzt er sich, so wie von Nietzsche diskutiert, eben nicht einseitig auf intellektuelle Tätigkeiten, sondern umfasst all das, was uns bewegt. Letzteres sollte mindestens zentrale Momente unseres philosophischen Bedürfnisses widerspiegeln.
Zusammenfassend ergeben sich mit diesem Projekt Einsichten zum Umgang mit je unseren eigenen Widerständen hinsichtlich unseres persönlichen Wohlbefindens. Ebenso wird transparent, was das Denken mit dem Tanzen und was dies mit dem Logos sowie der Wirklichkeit zu tun hat. Schlussendlich zeigt sich, dass Philosophie eine leiblich-geistig-intellektuelle Tätigkeit ist und nicht bloß ein Archiv von Erkenntnissen. Denn der philosophische Raum tapeziert nicht nur wissenschaftliche „Gemächer“, sondern passiert in Lebenswelten! Das Konkrete, was der Tanz illustriert, ist, dass wir uns dann philosophisch zeigen, wenn sich unser Denken überschreitend auf die permanent anreichernde Gegenwärtigkeit richtet, worauf letztlich die Phänomenologie hinweist.
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