Promotionsprojekt Kunst
Reflexive Aufzeichnungspraxen im künstlerisch-experimentellen Prozessportfolio - KEPP
Kunstpädagogische Perspektiven auf eine Lernkultur der Diversität
Doktorandin: Christina Inthoff - Betreuerin: Prof. Dr. Maria Peters
Das Wahrnehmen von, Sich-Interessieren für und aktive Umgehen mit Welt sind, insbesondere in einer zunehmenden kultur- und milieuspezifisch heterogenen Gesellschaft, Grundhaltungen einer mündigen und selbstbestimmten Lebensperspektive (vgl. Nohl 2014: 48). Im aktuellen Forschungsdiskurs der Kunstpädagogik und in seiner Folge im Kunstunterricht, kommt einer Berücksichtigung der Diversität der Lernenden im individuellen als auch kollaborativen Prozess von (Bild)-Handlungen eine wachsende Bedeutung zu (vgl. Lutz-Sterzenbach et al.: 19). Damit Schülerinnen und Schüler eigene Handlungs- und Entscheidungsprozesse, auch in ihrer Vernetzung zu den Erfahrungen der Mitschülerinnen und Mitschülern, selbstbestimmt und mündig ausführen können, ist eine differenzierte Reflexionskompetenz notwendig (vgl. Winter 2006: 165f). Um Diversität als Chance im Kunstunterricht produktiv zu machen, bedarf es der Ausbildung einer Reflexionskultur zur Beförderung kritischer, problematisierender und konstruktiver Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Blohm/Heil 2009).
Das Teilprojekt Kunst der Creative Unit FaBiT untersucht reflexive Potentiale in der Visualisierung künstlerisch-forschender Lernprozesse im Kunstunterricht, in denen individuelle Denk- und Ausdrucksfähigkeiten mit kollaborativen Arbeitsprozessen und Rückmeldungen vernetzt werden. An dem erhobenen Datenmaterial sollen Indikatoren gefunden werden, mit denen sich ein Wandel der Lernkultur – im Sinne einer Diversität als Chance - im Kunstunterricht beschreiben lässt.
Im Rahmen der Forschung werden dazu Lernarrangements auf der Grundlage des künstlerisch-experimentellen Prozessportfolios (KEPP) entwickelt, erprobt und untersucht.
Künstlerisch-forschende Lernprozesse stehen dabei konträr zu Lernsituationen, die das fremdbestimmte Lösen von Problemen fokussieren. Reflexive Aufzeichnungen im Sinne „welterschließender Praxen“ (Badura/Hedinger 2014: 28) sollen Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Reflexionsfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern befördern und unterstützen. Eine Kompetenz des Erkennens von Problemen, Lücken, dem Ungewöhnlichen wird in der Kreativitätsforschung als Problemsensitivität beschrieben (vgl. Stein 1973: 66). Der Fokus auf Problemsensitivität ermöglicht es, die Ausbildung kritisch- reflexiver Aufmerksamkeit bei Schülerinnen und Schülern untersuchen zu können. Für den Kunstunterricht ist eine solche Ausrichtung interessant, da durch die Beschreibung von problemsensitivem Handeln Selbstwirksamkeit (vgl. Jerusalem/Hopf 2002) als Schlüsselkompetenzen für Beruf, Studium und Alltag in den Blick genommen werden kann.
Forschungsfrage
Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern Dimensionen von Problemsensitivität und Selbstwirksamkeit in der Visualisierung, Reflexion und Präsentation individueller und kollaborativer Prozesse künstlerischer Forschung im Kunstunterricht entstehen. Ein besonderes Augenmerk liegt in der experimentellen Gestaltung von Text-Bild-Verbindungen sowie der Förderung eines reflektierten, sprachlichen Ausdrucksvermögens. Zugleich muss sich die Forschung auch der Frage stellen, welche Hindernisse und Hürden auf Fachebene überwunden werden müssen, um eine künstlerisch-experimentelle Portfolioarbeit mit dem Schwerpunkt auf der Prozessreflexion als Unterrichtsprinzip im Kunstunterricht zu etablieren. Auf diese Weise wird das Ziel verfolgt, wesentliche Hinweise für Wandel einer an Prozessen orientierten Lernkultur der Diversität im Kunstunterricht zu generieren.
Forschungsdesign
Die Forschung basiert auf einer spezifischen Portfoliopraxis im Kunstunterricht (KEPP). Im KEPP besteht eine Orientierung an künstlerischen Strategien und Ansätzen. Es wird ein experimenteller Umgang mit Aufzeichnungspraxen in unterschiedlichen Herangehensweisen der Notation, Dokumentation, Intervention sowie Reflexion erprobt. Die Handlungsorientierung im Fach wird gestärkt, indem Erfahrungen und Entscheidungen im Prozess sichtbar, reflektierbar und kommunizierbar werden.
Drei Phasen der Aufzeichnung und Reflexion sind im KEPP beschreibbar.
In der ersten Phase werden individuelle Prozessaufzeichnungen (Fundstücke, spontane Notationen, Dokumentation, Skizzen, Fotos) erstellt. In der zweiten Phase erfolgt die Reflexion vor und nach einer Aktion. In einer letzten Phase wird der Prozess in seiner Gesamtheit einer Metareflexion unterzogen.
Der Portfoliogedanke setzt eine transparente, kommunikative und partizipatorische Praxis voraus (vgl. Häcker 2007: 3). Das KEPP ist zentraler Bestandteil des Unterrichts und fließt in jede Planungsphase ein.
Die Forschung ist in einem zyklischen Aufbau nach dem Prinzip des Design-Based Research (DBR) als Unterrichtsentwicklungsforschung organisiert.
Der erste Zyklus wird in einer 10. Klasse an einem Bremer Gymnasium mit einem von der Forscherin geplanten Lehr-Lernarrangement von einer Kunstlehrerin durchgeführt. Im Anschluss findet der Unterricht mit dem Portfolio in Eigenregie der Lehrkraft und der Klasse noch bis zum Ende des Halbjahres statt. Der erste Zyklus zielt auf die Entwicklung eines Referenzdesigns.
Im zweiten Zyklus wird das überarbeitete und auf die Lerngruppe abgestimmte Lehr-Lernarrangement in einer 11. Klasse einer Oberschule erneut durch eine instruierte Lehrkraft durchgeführt. Der zweite Zyklus zielt auf die Entwicklung einer lokalen Theorie, in der das KEPP mit seinen vielfältigen Reflexionsstrukturen als Unterrichtsprinzip beschreibbar wird.
Die Wirkung des Designs wird an den Lernerartefakten, d. h. den individuellen und kooperativen Prozessvisualisierungen, anhand von spezifischen Indikatoren, genauer untersucht (Nano-Ebene). Hinzu kommen Fragebögen mit Items zur Selbstwirksamkeit für die Schülerinnen und Schüler, Beobachtungsprotokolle des Unterrichts sowie Interviews und Gesprächs- bzw. Handlungssequenzen, die audiographiert und analysiert werden.
Erwartete Ergebnisse
Ziel dieser Studie ist die Entwicklung eines Referenz-Design und einer lokalen Theorie zur Förderung visueller Ausdrucks- und Reflexionsfähigkeiten in individuellen und kollaborativen künstlerisch-forschenden Lernprozessen von Schülerinnen und Schülern (exemplarischer Vergleich zwischen Gymnasium und Oberschule) Die Untersuchung von Lernerartefakten soll Aufschluss über die Entwicklung der Reflexionskompetenz der Lernenden geben. Es wird erwartet, dass der im Portfolioansatz des KEPP initiierte und etablierte Austausch sowie die Auseinandersetzung mit fremden Perspektiven wesentlich zur Stärkung der Problemsensitivität und damit zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit im eigenen Ausdrucks- und Kommunikationsvermögen beitragen. Das KEPP stellt im Unterricht sowohl Gegenstand als auch Instrument dar. Über die Ergebnisse der Studie werden die besonderen Denk-, Aufzeichnungs- und Reflexionsformen des KEPP evaluiert und als Unterrichtsprinzip formuliert. Ein solcher Ansatz der Forschung rückt die Heterogenität einer Lerngruppe in den Mittelpunkt von Lernen und erkennt die besondere Chance einer auf Diversität begründeten Gesellschaft an.
Interdisziplinäre Vernetzungsansätze
- Englisch: Artefakt-Analyse ("Lern-/Lernendenspuren" in Lernendenprodukten)
- Mathematik: Erkenntnisleitende Handlungspraxen des Strukturierens und Ordnens in Sammelphasen. Visualisierung von Wahrnehmungen und Reflexionen durch Struktur- und Schaubilder.
Literatur
Blohm, Manfred/Christine Heil (2009): Orientierung: Forschung. In: Kunst+Unterricht 334/335, 86-93.
Häcker, Thomas (2011): Portfolios revisited – über Grenzen und Möglichkeiten eines vielversprechenden Konzepts. In: Meyer, Thorsten/ Mayberger, Kerstin/ Münte-Goussar, Stephan/ Schwalbe, Christina (Hrsg.): Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von E-Portfolios in Bildungsprozessen.Medienbildung und Mediengesellschaft Band 19. 1. Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Häcker, Thomas (2007): Portfolio - ein Entwicklungsinstrument für selbstbestimmtes Lernen. Eine explorative Studie zur Arbeit mit Portfolios in der Sekundarstufe I. Baltmannsweiler.
Jerusalem, Matthias/Hopf, Diether (Hg.) (2002): Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Zeitschrift für Pädagogik Beiheft 44. Weinheim [u.a.]: Beltz Verlag.
Kirchner, Constanze/ Kirschenmann, Johannes (2009): Praxis im Konzept des Kunstunterrichts-heute. Didaktische Orientierung im kunstpädagogischen Handeln. In: Kunst und Unterricht Heft: 334/335. S. 4-14.
Lutz-Sterzenbach, Barbara/Schnurr, Ansgar /Wagner, Ernst (Hg.) (2013): Bildwelten remixed. Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern. Bielefeld/Berlin (Pädagogik).
Stein, Morris J. (1973): Kreativität und Kultur. [1953]. In: Gisela Ulmann (Hg.): Kreativitätsforschung. Köln. (Neue wissenschaftliche Bibliothek Psychologie, 59), S. 65–75.
Winter, Felix (2006): Wir sprechen über Qualitäten. Das Portfolio als Chance für eine Reform der Leistungsbewertung. In: Brunner, I./Häcker, T./Winter, F. (Hrsg.): Das Handbuch Portfolioarbeit. Seelze: Kallmeyer, S. 165-170.
Weiterführende Literatur:
Inthoff, C. (2014): Problemsensitivität in reflexiven Aufzeichnungspraxen entwickeln. Whats next? Art Education. S. 139-141
Inthoff, C., & Peters, M. (2014). Impulse zur Aufzeichnung und Reflexion. Das künstlerisch-experimentelle Prozessportfolio (KEPP). Kunstpädagogische Perspektiven einer kompetenzorientierten Lernkultur. Kunst und Unterricht 379/380, 60-64.
Peters, M., & Inthoff, C. (2013). Perspektiven einer neuen Lernkultur im kompetenz-orientierten Kunstunter-richt. Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Hamburger Schulversuch alles»könner. In S. Engels, R. Preuss, & A. Schnurr (Hrsg.), Feldvermessung Kunstdidaktik. Positionsbestimmungen zum Fachverständnis (S. 103-113). München: kopaed Verlag.