Glücksspiel als Gefühlserlebnis
Sophia Gröschel
Spielbanken und Spielhallen in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis heute
Mitte des 20. Jahrhunderts setzte ein Glücksspiel-Boom in Westdeutschland ein. Schon in der Nachkriegszeit wurden zahlreiche Spielbanken konzessioniert. Seit den späten 1960er Jahren etablierte sich das Automatenspiel. Das Glücksspiel erlebte in dieser Zeit vorher ungekannte Ausmaße der Liberalisierung und Kommerzialisierung. Das in Casinos vermarktete Produkt ist dabei auf den ersten Blick schwer greifbar. Einen tatsächlichen Geldgewinn kann das Casino nicht allen Kundinnen und Kunden bieten. Schaut man sich die dort generierten Umsätze an, birgt dieser Ort offensichtlich dennoch einen enormen Reiz. Was kaufen sich Spielerinnen und Spieler, die ihr Geld beim Roulette auf Schwarz setzen oder in einen Spielautomaten einwerfen? In dieser Dissertation wird davon ausgegangen, dass sie in erster Linie in ein emotionales Erlebnis investieren. Das Casino ist ein Gefühlsraum, in dem Aufregung, Spannung, Hoffnung und Freude hergestellt werden. Zugleich bietet dieser Raum die Möglichkeit, emotional bedrückenden Lebenssituationen zumindest zeitweise zu entfliehen. In der Dissertation wird nach den Gefühlskonzepten gefragt, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts im Design von Spielbanken und Spielhallen in Form verschiedener atmosphärischer, visueller und auditiver Gestaltungselemente manifestierten. Der fortschreitende Ausbau und die gestalterische Optimierung des Glücksspielangebots blieb keineswegs unumstritten. Das Stigma der moralischen Verwerflichkeit konnte das Glücksspiel im Sinne einer modernen Konsumethik zunehmend ablegen. Der Diskurs um krankhaftes Spielverhalten als die Schattenseite des liberalisierten Casino-Marktes erlebte hingegen seit den frühen 1980er Jahren eine Hochphase. In der Dissertation wird deshalb auch untersucht, wie Gefühle in Debatten um sogenannte pathologische Spielerinnen und Spieler verhandelt wurden und welche Gefühlskonzepte die damit einhergehenden medizinisch-therapeutischen Entwicklungen prägten. Spielbanken und Spielhallen bewegten sich in einem Spannungsfeld oftmals konfligierender wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Interessen. Die Dissertation untersucht einen komplexen Markt, in dem verschiedene, sich wandelnde gesellschaftliche Vorstellungen zusammenlaufen: Vorstellungen über das Spielen, über Glück, Zufall und Risiko, über Konsum und Geld, über Krankheit und über Emotionen und Selbstbeherrschung. Der gefühlsgeschichtliche Ansatz ermöglicht einen Zugang zu der zeithistorischen Entwicklung dieses von der Geschichtswissenschaft bislang vernachlässigten Marktes. Als Emotionsgeschichte lässt sich die Dissertation dabei zugleich als Gesamtgeschichte der bundesdeutschen Casinolandschaft im 20. und frühen 21. Jahrhundert lesen.