Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas

Boris Kustodijew porträtierte 1915 noch den letzten Zaren Nikolaus II., bevor dieser 1917 von demonstrierenden Frauen im Laufe der Februarrevolution zum Abdanken gezwungen wurde; im Oktober 1917 putschten sich dann die Bolschewiki an die Macht. 1920 stellte der Maler, mittlerweile querschnittsgelähmt, die Oktoberrevolution als Bewegung einer großen Masse dar, die der roten Fahne eines überdimensionierten Mannes folgt. Diese Interpretation ist heute nicht mehr zu halten: Alle Gebiete des Zarenreichs, die sich 1917/18 für unabhängig erklärt hatten, aber 1922 in die Sowjetunion eingingen, waren von der Roten Armee mit Waffengewalt unterworfen worden. Dessen ungeachtet gilt das Jahr 1917 mit all seinen Umbrüchen bis heute als Beginn der Zeitgeschichte und des „kurzen 20. Jahrhunderts“.

In der Lehre thematisieren wir sowohl das zarische Imperium im 19. Jahrhundert, als auch die Sowjetunion im 20. Jahrhundert mit dem Stalinismus und seinen Folgen. An den unterschiedlichsten Entwicklungen und Phänomenen in Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft, an Arbeiter*innen und Bäuer*innen, Alltag und Kultur diskutieren wir, welche Zugänge, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaften welche Vor- und Nachteile haben, welche am fruchtbarsten sind, um das Handeln vergangener Akteur*innen zu verstehen oder wenigstens nachzuvollziehen. Die Quellen- und Textdiskussion steht daher bei uns im Vordergrund.

Die AG ist eng mit der Forschungsstelle Osteuropa und seinem in Europa einmaligen Archiv von Dissident*innen-Nachlässen aus Osteuropa verbunden. Wann immer möglich, erarbeiten wir in den Seminaren Ausstellungen oder ähnliche Präsentationen für die Öffentlichkeit: „Achtung! Feindpropaganda!“ ; Biografisches Lexikon Widerstand und Opposition im Kommunismus 1945—91. Seit 2023 besteht eine Kooperation mit der Jurij-Fedkowytsch-Nationaluniversität Tscherniwzi in der Ukraine. In diesem Rahmen findet jeweils im Herbst eine Projektwoche statt, bei der sich deutsche und ukrainische Studierende gemeinsam im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa auf die Suche nach Spuren ukrainischer Geschichte in Deutschland machen.

Unsere Lehre ist nah an unsere Forschung angelegt, in der wir u.a. folgenden Fragen nachgehen: Was waren die Spielregeln für Diplomaten im Zarenreich und wie kam es zu kulturellen Missverständnissen? Warum unterstützten Männer und Frauen in den 1950er Jahren noch ein Regime, das sie 1937 ins Lager gebracht oder ihre Verwandten umgebracht hatte? Was erlebten kriegsgefangene Rotarmistinnen im Zweiten Weltkrieg in deutscher Gefangenschaft? Wie arbeiteten und überlebten die Menschen in der Antarktis? Was hatte Breschnews Drogenkonsum mit dem Einmarsch in Afghanistan zu tun? Wie begegneten sich Menschen durch den Eisernen Vorhang hindurch und was trieb sie an? Warum demonstrierten 1968 sieben Menschen auf dem Roten Platz gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings, obwohl sie wussten, dass sie dafür langjährige Lagerstrafen erwarteten? Wieso verkaufte die kommunistische UdSSR 1970 der kapitalistischen BRD Erdgas, von dem unsere Energiewirtschaft bis 2022 abhängig war?

Wer mehr erfahren möchte...

...kann Susanne Schattenberg in einem Podcast über die Geschichte der Sowjetunion hören, oder ihr Interview über das Fach Osteuropäische Geschichte lesen.

Professur

Prof. Dr. Susanne Schattenberg

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
Elias Angele

Muriel Nägler

Sekretariat: Sabine Andrae

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Aktualisiert von: M.Fritzsche