von Ian Watson
Ein doppeltes Jubiläum und ein zwei Lebenswerke wurden gefeiert. Es sind nicht nur 400 Jahre seit dem Tod des Großen Barden, dessen letztes Stück aufgeführt wurde, sondern es war auch die 25. Aufführung des Parlement of Foules. Da Regisseur Michael Claridge all diese Produktionen über 18 Jahre geleitet hat, kann man ruhig auch von seinem Lebenswerk sprechen, das bei Studierenden, Theaterliebhabern und Englisch-Lehrer/inne/n buten un binnen so geschätzt wird, nicht zuletzt für seine Risikofreundlichkeit. Diese drückt sich hier so aus, dass er 10 der Hauptrollen doppelt besetzt, was zu einer beeindruckenden schauspielerischen und logistischen Leistung führt. „Wie schaffen die das denn?“, hört man aus dem Publikum. Und auch dem Rezensenten bleibt es immer noch ein Rätsel, wie die Foules den Ablauf so verzaubert haben, dass das Umkleiden und Wiedererscheinen in einer anderen Rolle so reibungslos vor sich geht.
Der Sturm ist komplex und vielschichtig, voller Dichotomien und Kontraste, und fordert den Schauspielern ein breites Band an Fähigkeiten ab: Es ist Komödie, Liebesgeschichte und Fantasie, aber auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Machtausübung, einer von Shakespeares vorherrschenden Gedanken. Und nun müssen die Beteiligten durch das Doppeln auch noch sehr kontrastierende Figuren spielen.
Oliver Kück überzeugt einerseits als der liebenswerte Liebhaber und Gefangene Ferdinand aber auch als der große Böse Antonio, dessen Machtgier den inhumanen Ausgangspunkt der Handlung ausgelöst hat. Kück bekommt das hervorragend hin.
Leandra Thiele absolviert auch mit Bravour ein sehr anspruchsvolles Programm. Als die weltfremde, liebe Miranda bringt sie das Publikum ständig zum: „Ach, wie süüß“; und als mordlustiger Sebastian zeigt sie eine Kälte verbreitende Seite aus Granit. Wie bei allen anderen beherrscht sie großartig die entsprechende differenzierte Körpersprache.
Jannika Gries spielt sehr überzeugend zwei sehr unterschiedliche Männer: den lebhaften Hofnarr Trinculo, der die meisten Lacher auf seiner Seite hat; aber auch - hinkend am Gehstock - den reumütigen alten Gonzalo, dessen Tränen es sind, die das humanistische Einsehen Prosperos auslösen.
Helena Gaubitz bringt brillant eine ähnliche Doppelrolle auf die Bühne: einerseits den betrunkenen Stephano (hier wieder eine höchst überzeugende torkelnde Körpersprache), der durch den schlechten Einfluss von Caliban Machtallüren entwickelt, und auch den trauernden König Alonso, der zu glauben beginnt, er habe seinen vermeintlich ertrunkenen Sohn als göttliche Strafe für seine Sünde verloren.
Allen voran gelingt Hannah Elleringmann der risikoreichste Spagat, indem sie sowohl Caliban als auch Ariel spielt. Beide werden gewöhnlich als individuelle Star-Rollen besetzt. Als Caliban strahlt sie berechtigte Verbitterung und krankhaften Hass aus, buchstäblich gekrümmt vor Zorn. Als Geist aus Luft und Rauch wiederum agiert sie leichfüßig, graziös und athletisch. Ihre Bühnenbewegungen in beiden Rollen sind so dramatisch unterschiedlich, dass es lange dauert, bis man realisiert, dass es dieselbe Schauspielerin ist. Als Ariel („tricksy spirit“) kreist sie wie flatternder Rauch um Prospero herum und beeinflusst ihn subtil. Sie ist es ja, die am Ende Prosperos humanistische Einsicht auslöst, dass zum guten Regieren auch Vergeben, Gnade und Barmherzigkeit gehören: „That if you now beheld them your affections / Would become tender. / PROSPERO. Dost thou think so, spirit? ARIEL. Mine would, sir, were I human.“ Dieser ruhige Augenblick des Innehaltens kommt als leiser Höhepunkt rüber. Elleringmann und Finn Lorenzen als Prospero agieren, als wären sie ein gut eingespieltes Team.
Lorenzen spielt zwar „nur“ eine Rolle, aber was für eine. Er ist im Zentrum des Geschehens ein vielfältiger, tiefsinniger Prospero: sensibel, wohlmeinend aber auch herrisch und stur, der aufgeklärte Renaissancemensch aber auch der strenge Patriarch und Kontrollfreak, hin- und hergerissen von seiner Obsession mit der Magie, zwischen verbitterten Rachegefühlen und zärtlicher Vergebung, zwischen humanistischen Idealen und kolonialem Hybris. All diese Widersprüche lebt Lorenzens Hauptrolle souverän. Er macht den berühmten Epilog, der gern als Shakespeares Abgesang von der Bühne gesehen wird, zum Gänsehautauftritt, nicht zuletzt weil er dem Barden erstaunlich ähnlich sieht. Als Prospero/Shakespeare/Lorenzen um einen letzten Applaus bittet („As you from crimes would pardon’d be, / Let your indulgence set me free.“), reagiert das Publikum zurecht mit tosendem Beifall.
Ian Watson war bis 2011 Hochschuldozent für anglistische Literaturwissenschaft und literarisches Schreiben im Fachbereich 10.