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„Worlds of Contradiction“: Eine Revolution der Geisteswissenschaften?

Die menschliche Intuition gilt als nicht erlernbar. Doch lässt sie sich in künstlicher Intelligenz erzeugen? Und falls das gelänge – welche Auswirkungen hätte dies auf unsere Gesellschaft? Eine spannende Frage, die sich in einer wissenschaftlichen Disziplin allein nicht lösen lässt. Mit solch…

Ebenso ungewöhnlich wie die verschiedenen Fragestellungen des neuen Forschungsfeldes ist die Zusammensetzung der beteiligten Disziplinen: Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften, Sprach- und Literaturwissenschaften sowie Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Über 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Karrierestufen sind derzeit beteiligt.

Wie alles begann

Die Erfolge in der Exzellenzinitiative sowie beachtliche Drittmitteleinwerbungen, die aus der Zusammenarbeit unterschiedlichster Disziplinen resultierten, bekräftigten die Bremer Geisteswissenschaften darin, künftig stärker auf die Möglichkeiten der Verbundforschung zu setzen. Ein impulsgebendes Modell ist beispielsweise das 2013 an den Start gegangene Projekt „Fiction Meets Science“, das von der VolkswagenStiftung gefördert wird. Es ist als Kooperationsprogramm der Universitäten Bremen und Oldenburg und weiterer nordwestdeutscher sowie internationaler Forschungseinrichtungen angelegt. Das Projekt geht der Frage nach, wie heute in der Literatur – Beispiel: Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ – über naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse geschrieben wird. Dabei werden die Texte aus literaturwissenschaftlicher und soziologischer Perspektive untersucht. Auch die Entstehung neuer Wissenschaftsromane wird gefördert. Als Auftakt dieser Initiative begleitete der Schriftsteller Bernhard Kegel als „teilnehmender Beobachter“ Bremer Expeditionen zum Roten Meer und zu den Galapagos-Inseln. Hier sammelte er Eindrücke über den Forscheralltag.

Das Besondere und damit Modellhafte an dem Projekt ist die Zusammenarbeit von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftlern bzw. Naturwissenschaftlerinnen: Aus ihren jeweiligen Perspektiven untersuchen sie die Darstellung von Forschungsprozessen in der Literatur. Wie wirkt sich die literarische Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlicher Forschung auf deren Wahrnehmung in der Gesellschaft aus? Wie reagieren die Forschenden auf ihre Präsenz im Medium der Literatur?

„Umdenken innerhalb unserer Geisteswissenschaften“ 

Durch dieses Projekt und weitere bedeutende Forschungsvorhaben, beispielsweise aus den Creative Units, entwickelte sich eine neue interdisziplinäre Dynamik innerhalb der geisteswissenschaftlichen Fachgebiete – die gemeinsame Arbeit beflügelte und brachte neue Forschungsimpulse für die eigene Disziplin. Und so fand sich relativ schnell die Übereinkunft unter den beteiligten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, weitere gemeinsame Forschungsarbeiten auf den Weg zu bringen. „Vorher war in einigen Fachbereichen häufig im Detail gar nicht bekannt, was der „Nachbar und die „Nachbarin“ machen“, erklärt Norbert Schaffeld, Professor für englischsprachige Literatur im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften und Leiter der jungen Verbundforschungsinitiative. „Vor rund zwei Jahren begann dann ein Findungsprozess unter Beteiligung der Fachbereiche 8, 9, 10 und 12, der zu einem Umdenken innerhalb der Bremer Geisteswissenschaften führte.“

Aus den beteiligten Disziplinen entstand ein Zusammenschluss, der über einzelne Kooperationsprojekte hinausgeht. Gemeinsam entwickelten die Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler das neue Forschungsfeld „Worlds of Contradiction“, die „Welten des Widerspruchs“, mit ungeheuer komplexen und aktuellen Fragestellungen.

Im Zentrum stehen drei Themenfelder: Machtdifferenzen, Wissensformen und Verhandlungspraxen. Sie bilden einen Rahmen für die beteiligten Disziplinen, innerhalb dessen bestehende Projekte eingefasst und neue Forschungsvorhaben entwickelt werden können.

Von der Lehre des Widerspruchs

Die Fragestellungen sind so vielfältig wie die beteiligen Fächer. Als prominenter Gast der „Worlds of Contradiction“ geht nun Professor Willard McCarty (King’s College London/University of Western Sydney) Gegensätzen innerhalb der digitalen Geisteswissenschaften auf den Grund. Im öffentlichen Vortrag “The Contradiction of Computing” am 7. Juli 2016 spricht er über den Widerspruch zwischen Künstlicher Intelligenz und menschlicher Intuition: Ist es bereits gelungen, Maschinen eine Art Intuition einzuprogrammieren? Wenn es so wäre, wie wirkt sich dies auf unsere Vorstellung von Menschlichkeit aus?

Geisteswissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen, die sich zu Erkenntnissen der Mathematik oder Informatik äußern – ein Widerspruch? „Nicht mehr“, so Schaffeld. „Worlds of Contradiction“ verbindet Disziplinen, die sich zuvor höchstens an einzelnen Punkten begegnet sind. Das Projekt positioniert die Geisteswissenschaften genau dort, wo die Gesellschaft sie braucht: An den aktuellen Entwicklungen unserer hochtechnologisierten Gesellschaft, in deren Mittelpunkt nach wie vor der Mensch stehen sollte.“

Terminhinweis: Der Vortrag “The Contradiction of Computing” von Professor Willard McCarty (King’s College London/University of Western Sydney) findet am 7. Juli 2016 um 18 Uhr in der Rotunde des Gebäudes Cartesium an der Universität Bremen statt.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auch auf der Webseite der Worlds of Contradiction.

Professor Norbert Schaffeld ist Leiter der Verbundforschungsinitiative "Worlds of Contradiction"