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Bremer Expertise bei Europas größter Fachtagung für Juristen gefragt

Rechtswissenschaftler Professor Gralf-Peter Calliess hat für den 70. Deutschen Juristentag in Hannover ein Gutachten zur Verbesserung des Zivilprozesses formuliert / Empfehlung für Bundesregierung

Nr. 298 / 8. September 2014 MM

Können Zivilprozesse bürgerfreundlicher und effizienter gestaltet werden? Warum sind bei den Amts- und Landgerichten die Rechtsfälle in Zivil- und Handelssachen rückläufig? Zu diesem komplexen Thema ist auf Europas größter Fachtagung für Juristen Bremer Expertise gefragt: Der Rechtswissenschaftler Professor Gralf-Peter Calliess wurde gebeten, ein Gutachten für den 70. Deutschen Juristentag zu verfassen, der vom 16. bis 19. September 2014 in Hannover stattfindet. Seine Thesen werden von den rund 3.000 Teilnehmern diskutiert und dienen als wichtige Empfehlung für die Bundesregierung. Neben dem Gutachten von Professor Calliess gibt es noch fünf weitere zu den Themen Arbeits-, Straf-, Wirtschafts-, Urheberrecht und Öffentliches Recht.

Was ist der Deutsche Juristentag?

Der Deutsche Juristentag ist ein eingetragener Verein mit rund 7.000 Mitgliedern, der Juristinnen und Juristen aus allen Berufsgruppen Deutschlands vereint. Ziel ist es, auf wissenschaftlicher Grundlage die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen der Rechtsordnung zu untersuchen, der Öffentlichkeit Vorschläge zur Fortentwicklung des Rechts vorzulegen, auf Rechtsmissstände hinzuweisen und einen lebendigen Meinungsaustausch unter den Juristen aller Berufsgruppen und Fachrichtungen herbeizuführen. Da der Verein keine Interessenvertretung bestimmter beruflicher oder gesellschaftlicher Gruppen ist, hat sein Wort in der juristischen Öffentlichkeit und auch für den Gesetzgeber besonderes Gewicht. Zu diesem Zweck veranstaltet der Verein seit 1860 alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Stadt den „Deutschen Juristentag“.

Worum geht es in dem Gutachten des Bremer Juristen?

„Die gesellschaftlichen Prozesse der Globalisierung, Europäisierung und Digitalisierung haben zu veränderten Rechtsbedürfnissen auf dem Markt für Streitschlichtung geführt: Den Konflikten liegen zunehmend grenzüberschreitende Sachverhalte zugrunde und Bürger und Unternehmen wünschen sich eine schnelle, faire und effektive Lösung“, so Calliess. Die Ziviljustiz stehe dabei unter erhöhtem Wettbewerbsdruck durch ausländische Gerichte und alternative Konfliktlösungsmechanismen wie zum Beispiel private Schiedsgerichte, Mediatoren und neuerdings auch Online-Streitschlichtung. Die national geprägte Ziviljustiz habe demgegenüber eine Reihe von Defiziten, was sich an einer rückläufigen Nachfrage bemerkbar mache. So sind die Fallzahlen in Zivilsachen in erster Instanz zwischen 2004 und 2012 bei den Amtsgerichten um 23 Prozent und bei den Landgerichten um 19 Prozent zurückgegangen. Noch größere Einbrüche sind bei den Kammern für Handelssachen zu verzeichnen. Weniger Rechtsfälle führten aber zu weniger höchstrichterlichen Präzedenzentscheidungen und damit zu abnehmender Rechtssicherheit. Im Extremfall könnten ganze Rechtsgebiete mangels Rechtsprechung austrocken, so wie dies etwa im Seehandelsrecht oder beim Unternehmenskauf bereits der Fall sei.

Calliess trägt Vorschläge und Beispiele zusammen

„Diesen negativen Folgen des Prozessschwunds muss entgegengewirkt werden, soll die Zivilrechtspflege ihrem verfassungsmäßigen Auftrag auch in Zukunft gerecht werden“, sagt der Rechtswissenschaftler. Das setzte einen Wandel im Selbstverständnis der Ziviljustiz voraus, der nicht per Gesetz verordnet werden könne. Der Gesetzgeber müsse die Rahmenbedingungen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess setzen, indem vor Ort klare Verantwortlichkeiten zur Qualitätssteigerung verankert werden. In seinem Gutachten mit dem Titel „Der Richter im Zivilprozess – sind ZPO (Zivilprozessordung) und GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) noch zeitgemäß?“ trägt Professor Calliess eine Vielzahl von Vorschlägen und Beispielen aus der deutschen, europäischen und internationalen Diskussion zu einem Gesamtkonzept zusammen. Dabei erhebt der Wissenschaftler jedoch keinen Anspruch auf einzig richtige Lösungen oder auf Vollständigkeit. Es handele sich lediglich um eine grobe Richtung und Leitlinien für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Konkret geht es dabei etwa um Spezialisierung, Fallmanagement komplexer Verfahren, flexible Geschäftsverteilung, Modernisierung der Arbeitsorganisation, Verbesserung der Personalstruktur und das richtige Setzen von Anreizen. Das Gutachten schließt mit 18 konkreten Thesen zur Steigerung der Attraktivität der Ziviljustiz. Nachzulesen sind sie unter www.djt.de/fileadmin/downloads/70/Thesen_70._djt.pdf.

Zur Person:

Gralf-Peter Calliess ist seit 2007 Professor für Bürgerliches Recht, internationales und vergleichendes Wirtschaftsrecht sowie Rechtstheorie an der Universität Bremen. Am Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“ leitet er ein Forschungsprojekt zur Verfassung des globalen Handels. Seit 2009 ist der Jurist zudem Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen und seit 2012 Direktor am Zentrum für transnationale Studien (www.zen-tra.de). Calliess studierte Rechts- und Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz (1993/94). Nach dem Rechtsreferendariat in Konstanz war er als Rechtsanwalt in der Sozietät Hengeler Mueller in Frankfurt am Main tätig. 1998 erfolgte die Promotion an der Universität Göttingen, 2005 die Habilitation an der Universität Frankfurt am Main. Danach hatte er eine Professur für Internationales und Europäisches Privatrecht an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München. Der Rechtswissenschaftler ist Verfasser der Bücher „Prozedurales Recht“ (1999), „Grenzüberschreitende Verbraucherverträge“ (2006) und „Rough Consensus & Running Code. A Theory of Transnational Private Law“ (2010, zusammen mit Peer Zumbansen). Er ist Herausgeber eines englischsprachigen Kommentars zum internationalen Privatrecht der Europäischen Union („Rome Regulations“, 2011).

Weitere Informationen zum DJT unter www.djt.de/70-deutscher-juristentag  oder bei Facebook www.facebook.com/juristentag.

Achtung Redaktionen: In der Uni-Pressestelle erhalten Sie ein Foto von Professor Gralf-Peter Calliess. Kontakt per Telefon: 0421 218 60150 oder E-Mail: presseprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de  .

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Rechtswissenschaft
Bürgerliches Recht, Internationales Wirtschaftsrecht
Prof. Dr. Gralf-Peter Calliess
Tel: 0421-218-66207 ( oder -08 Sek.)
www.handelsrecht.uni-bremen.de