Bis Mitte August 2019 sah es so aus, als würde ein denkwürdiger Minimalrekord erreicht: Die eisbedeckte Fläche des Arktischen Ozeans (definiert als Fläche mit einer Meereiskonzentration von mehr als 15 Prozent) war von Ende März bis Anfang August kleiner als jemals von Satelliten seit 1979 beobachtet. „Unsere Satellitendaten zeigten zwischen März und April 2019 eine ungewöhnlich starke Abnahme der Eisausdehnung, von der sich das arktische Meereis bis zum Sommer nicht wieder erholt hat“, erklären Prof. Christian Haas, Geophysiker und Leiter der Meereissektion am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Dr. Gunnar Spreen vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen. Seit der zweiten Augusthälfte verlangsamte sich die saisonale Abnahme jedoch, überlagert von kurzfristigen Schwankungen. Der bisherige Minimalwert von 3,82 Millionen Quadratkilometern für das Jahr 2019 wurde am 3. September beobachtet. Damit könnte es sein, dass in diesem Jahr auch der September-Mittelwert erst zum zweiten Mal unter 4 Millionen Quadratkilometern liegen wird.
Eis kann noch weiter zurückgehen
Das Eis kann aber in den nächsten Wochen noch etwas weiter zurückgehen: Auch wenn die Lufttemperatur in der Arktis saisonbedingt mittlerweile wieder unter dem Gefrierpunkt liegt, kann die Wärme im Wasser darunter das Meereis von der Unterseite noch ein paar Wochen lang weiter schmelzen lassen. Wenn es in der Arktis in den nächsten Tagen sehr kalt wird kann die Eisbedeckung aber auch schon wieder zunehmen. Die Wissenschaftler werden im Oktober die Daten für den Gesamtmonat September analysieren und ziehen dann die endgültige Bilanz des Meereisminimums im Jahr 2019. Es erscheint unwahrscheinlich, dass dieses Jahr ein neuer absoluter Negativrekord eintreten wird, der 2012 mit einer Meereisausdehnung von 3,4 Millionen Quadratkilometern beobachtet wurde. „Rekord oder nicht, dieses Jahr bestätigt den weiteren langfristigen klimabedingten Rückgang des Eises in der Arktis, womit es immer wahrscheinlicher wird, dass es in ein paar Jahrzehnten eisfreie Sommer in der Arktis geben wird. Dies bedeutet einschneidende Veränderungen für die Arktis, mit Konsequenzen für das Klima- und Ökosystem und uns Menschen, einschließlich in Europa“, erklärt Christian Haas.
Täglich Eiskarten auf meereisportal.de
Wissenschaftler des Instituts für Umweltphysik der Universität Bremen und des Alfred-Wegener-Instituts analysieren gemeinsam Satellitendaten der Eiskonzentration, -ausdehnung, -dicke sowie Atmosphärenmessungen. Auf meereisportal.de veröffentlichen sie beispielsweise tägliche aktualisierte Eiskarten und ordnen die Meereisentwicklung tiefergehend ein. Auswertealgorithmen anderer Institute (z.B. NSIDC oder OSI-SAF), können leicht andere Ergebnissen liefern. Zurzeit zeigen sie für 2019 noch die drittniedrigste Eisausdehnung an. „Diese geringen Unterschiede ergeben sich aus der höheren Auflösung unserer Daten und den leicht unterschiedlichen Methoden, die zur Berechnung der Eiskonzentration benutzt werden. Sie zeigen die Unsicherheiten, die selbst moderne Satellitenbeobachtungen des Meereises haben können. Daten der MOSAiC-Expedition sollen helfen solche Unsicherheiten zu verringern“, erklärt Dr. Gunnar Spreen vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen.
Auf der Suche nach der richtigen Eisscholle
Besonders neugierig blicken die Wissenschaftler derzeit in die nördliche Laptewsee: Am 20. September wird der Forschungseisbrecher Polarstern vom norwegischen Tromsø aus zur MOSAiC-Expedition startet. In der nördlichen Laptewsee suchen die Expeditionsteilnehmenden dann eine geeignete Eisscholle, an der die Polarstern festmachen wird, um eingefroren im winterlich anwachsenden Meereis ein Jahr lang durch die Zentralarktis zu driften. „Wir beobachten die Eissituation sehr aufmerksam und haben eine Reihe neuer Datenprodukte entwickelt, die uns bestmögliche, detaillierte Einblicke in die aktuellen Bedingungen geben“, berichtet Christian Haas. „In der Laptewsee ist die Eissituation ähnlich wie in Vorjahren mit arktisweiter geringer Eisausdehnung. Das heißt zwar, dass wir relativ einfach in unser Forschungsgebiet bei 85 Grad Nord kommen werden. Die Nähe zur Eiskante bedeutet allerdings auch, dass es schwierig wird, geeignete Eisschollen zu finden die groß und dick genug sind, um das Eiscamp aufzubauen. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass das Eis südlich von 88 Grad Nord weniger als 80 Zentimeter dick ist, weniger als die 1,2 Meter die wir für einen sicheren Aufbau unserer Messtationen gerne hätten. Eventuell müssen wir weiter nach Norden fahren als geplant um die richtigen Verhältnisse anzutreffen“, so Christian Haas, der selber ab Mitte Dezember den zweiten Fahrtabschnitt der MOSAiC-Expedition leiten wird.
Weitere Informationen:
www.meereisportal.de
www.mosaic-expedition.org
www.uni-bremen.de
Fragen beantwortet:
Dr. Gunnar Spreen
Institut für Umweltphysik (IUP)
Universität Bremen
Tel.: +49 421 218-62158
E-Mail: gunnar.spreenprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
Prof. Dr. Christian Haas
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Tel.: +49 471 4831-2285
E-Mail: Christian.Haasprotect me ?!awiprotect me ?!.de