Daria Skibo forscht im Centre for Independent Social Research in Sankt-Petersburg. Die Zivilgesellschaft in Russland ist ihr übergeordnetes Thema. Das Institut ist unabhängig von alten Strukturen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich darin zusammengeschlossen, „weil wir selbstorganisiert echte Sozialforschung betreiben wollen“, sagt die 29-Jährige. Ihr Bremer Gastgeber, Professor Heiko Pleines, wissenschaftlich spezialisiert auf Funktionsweisen und Entwicklungspfade autoritärer Regime, ergänzt: „Sie wollen frei forschen, ohne Altlasten.“
Stempel aufgedrückt
Diese wissenschaftliche Einrichtung, so wird im Gespräch mit dem Gast aus St. Petersburg klar, ist vom russischen Staat als „ausländischer Agent“ eingestuft worden. Der staatliche Stempel kann laut einem Gesetz von 2012 allen Nichtstaatlichen Organisationen (NGO) aufgedrückt werden, die „politisch aktiv“ sind – was alles heißen kann – und Geld aus dem Ausland erhalten. Wehren relativ zwecklos. „Der besondere rechtliche Status bringt Auflagen mit sich, Rechenschafts- und Meldepflichten, ständige Kontrollen“, sagt Professor Pleines. „Da ist eine Regelverletzung schnell feststellbar. Dann sind hohe Geldstrafen fällig, es droht die Schließung, manchmal auch Gefängnisstrafen.“
Absurde Fußnote
Wer die Internetseite öffnet, stellt fest, dass das St. Petersburger Institut an einer Vielfalt von Themen forscht. Sie reichen von Gender Studies über Umweltsoziologie bis hin zur Stadtforschung. Und dennoch steht am Fuß der Website: „Auf Beschluss des russischen Bundesministeriums der Justiz wurde die autonome gemeinnützige Organisation, das Zentrum für Sozialforschung (CISR), in das Register der gemeinnützigen Organisationen aufgenommen, die die Funktionen eines ausländischen Agenten ausüben.“ Die Sozialwissenschaftlerin erläutert, dass die Regelung nicht eindeutig vorgibt, wo der Hinweis stehen soll – vielleicht auch auf der Visitenkarte?
Wie reagieren deutsche Stiftungen?
Sicherheit und Garantien gibt es nicht, stattdessen schwebt ein Damoklesschwert über der akademischen Arbeit. Daria Skibo zeigt sich ungerührt. „Ich habe ein funktionierendes Netzwerk von Freunden und einen guten Anwalt“, sagt sie. Sie freut sich, nach einem längeren Aufenthalt in Wien und einer Zwischenstation in Washington nun in Bremen zu sein, lobt die ausgezeichnete Bibliothek der Forschungsstelle Osteuropa, die netten Kolleginnen und Kollegen und das wissenschaftliche Team. Ihr Thema, das sie innerhalb eines Jahres in Deutschland vorantreiben will, ist eng mit dem Status „foreign agent“ verbunden. „Ich will herausfinden, wie deutsche Stiftungen, insbesondere die Stiftungen der Parteien, mit ihren russischen Partnern umgehen, die diese Einstufung bekommen haben. Was bedeutet das für ihre Netzwerke und die finanzielle Unterstützung?“ Dafür wird sie zahlreiche Interviews vor allem in Berlin, zusätzlich in Bremen und anderen Städten führen, um praktischen Fragen zu klären und Strategien auch für die russischen Partner vorzuschlagen.
Bundeskanzler-Stipendium für Führungskräfte
Daria Skibo hat für ihren Bremer Aufenthalt das Bundeskanzler-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten. Es ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gedacht, die später Führungspositionen übernehmen werden. „Seit Juli bin ich schon hier, um zu schauen, wie das deutsche Alphabet aussieht“, beschreibt sie witzelnd ihre ersten Schritte beim Spracherwerb. Gemeinsam mit 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Programms aus Brasilien, China, Indien, Russland und den USA ist sie zuvor durchs Land gereist, hat Medien und Unternehmen besucht. Auf die Forschungsstelle Osteuropa als idealen Ort für ihre wissenschaftliche Arbeit ist die junge Frau gekommen, weil sie 2016 schon einmal zu einem Seminar in der Klagenfurter Straße war und erste Kontakte knüpfen konnte. Nun freut sie sich, ein ganzes Jahr hier zu sein.
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Heiko Pleines
Forschungsstelle Osteuropa (FSO)
Universität Bremen
Tel.: +49 421 218-69602
E-Mail: pleines@uni-bremen.de